Qualität von Gesetzen und richterliche Rechtsfortbildung als kommunizierende Röhren

Gesetze, welche Juristen überwiegend als handwerklich schlecht bezeichnen würden, gibt es immer wieder. Hier geht es vor allem darum, dass die entsprechenden Regelungen meist mehr Fragen aufwerfen als beantworten oder nicht widerspruchsfrei in den vom Gesetzgeber eingegliederten normativen Kontext passen. Der Autor erläutert dies anhand eines Gesetzes zur einkommenssteuerlichen Regelung des Mindestlohns, welches in einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) für unverständlich und widersprüchlich erachtet wurde. Ferner führt er als Beispiel die Erweiterung von § 284 BGB um einen Absatz 3 an. Die Hinzufügung dieses dritten Absatzes, welcher vor der Änderung im Jahr 2000 die Voraussetzungen des Verzugs regelte, führte bei betroffenen Unternehmen zu erheblichen Schäden, welche teilweise in deren Insolvent endeten.

Es stellt sich somit die Frage, ob die Rechtsprechung solche Fehler ausgleichen kann bzw. ob diese eingreifen kann, wenn die sachlich adäquate Regelung ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden ist und ob der Eingriffsspielraum der richterlichen Rechtsfortbildung größer wird, desto schlechter eine Regelung handwerklich ist.

Im sogenannten Lückenbereich, welcher die richterliche Rechtfortbildung zulässt, wenn das Gesetz planwidrig unvollkommen ist, geht es nicht mehr bloß um die verschiedenen Auslegunsmöglichkeiten des Gesetzes. Immer wieder zu Streitigkeiten führt hierbei, wie zu beurteilen ist, ob es sich bei der Regelungslücke um eine solche handelt, bei der sich aus der Gesamtheit der Rechtsordnung ergeben könnte, dass eine richterliche Anwendung erforderlich ist oder ob es sich möglicherweise doch um eine gesetzesimmanente Teleologie handelt. Letzteres hätte eine Ergänzung der gesetzlichen Rechtsordnung zur Folge. Grundsätzlich ist Abgrenzung zwischen der bloßen Auslegung und der richterlichen Rechtsfortbildung jedoch weniger bestimmt, als zunächst angenommen.

Der Philosoph Ludwig Wittgenstein war der Auffassung, dass der Wortlaut des Gesetzes keine reale Bedeutung habe bzw. sich diese lediglich aus seinem Gebrauch in der Sprache ergibt. Weitere Ansichten tragen bei, dass der Lückenbereich eines Gesetzes nicht aus sich selbst heraus ergänzt werden kann. Vielmehr endet die richterliche Steuerung durch das Gesetz und es beginnt an dem Punkt mit der richterlichen Eigenwertung. Weiterhin war der Jurist der Ansicht, dass eine Lücke nur dann angenommen werden kann, wenn das rechtsanwendende Organ den Mangel der Rechtsnorm für unbillig oder ungerecht ansieht, mit der Folge, dass der Gesetzgeber zugunsten des Richters zurücktritt. Man muss jedoch aufpassen, dass man nicht voreilig eine Gesetzeslücke annimmt, da diese Annahme meist zur Begradigung eines handwerklichen Gesetzgebungsfehlers gar nicht zwingend notwendig ist. In den meisten Fällen lässt sich diese Korrektur schon mit den gewöhnlichen Auslegungselementen bewirken.

Die positivrechtlichen Grenzen für die fachgerichtliche Korrektur handwerklich schlechter Gesetze ergeben sich aus der verfassungsrechtlichen Gesetzesbindung der Gerichte und der korrespondierenden verfassungsgerichtlichen Kontrolle.

Letztendlich sollte bei handwerklich schlechten Gesetzen somit nicht die Korrektur durch die Rechtsprechung durchgeführt, sondern durch die herkömmliche Methodenlehre der gesetzgeberische Fehler korrigiert werden. Zwar vermittelt diese Methode den Anschein einer vollständigen und kohärenten Ordnung des Rechts durch Gesetzgebung, sie bietet jedoch ein reichhaltiges Arsenal von Auslegungsmethoden, um einen möglichst problemlosen Ausgleich zwischen den Regelungsintentionen des handwerklich misslungenen Gesetzes und der Systematik des sonstigen Rechts herzustellen. Im demokratischen Rechtsstaat ist nicht nur der Bürger, sondern auch der Gesetzgeber autonom. Somit ist bei verfassungs- und unionsrechtlichen Vorgaben auch nicht die Rechtsprechung, sondern der Gesetzgeber zur autonomen Ausgestaltung der gesetzlichen Rechtsordnung aufgerufen.

Zusammenfassung aus: Prof. Dr. Adam Sagan, MJur (Oxon) – Qualität von Gesetzen und richterliche Rechtfortbildung als kommunizierende Röhren?, Juris Monatsmagazin 2/2020, S. 53-58

Erstellt am 22.03.2021