Die Prozesskostenhilfe im selbstständigen Beweisverfahren

Unter welchen Vorsetzungen wird sie bewilligt?

1. Einleitung

„Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint“. So heißt es in § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Prozesskostenhilfe soll die aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitende Rechtsschutzgleichheit gewährleisten.[1] Denn jedem Bürger soll, unabhängig von seinen finanziellen Mitteln, der Weg zum Rechtsschutz des Staates offenstehen.[2] Doch gilt das auch schon für das selbstständige Beweisverfahren nach § 485 ZPO?

2. Prozesskostenhilfe im selbstständigen Beweisverfahren unzulässig?

Fraglich ist, ob die Prozesskostenhilfe im selbstständigen Beweisverfahren nach § 485 ZPO womöglich unzulässig ist. § 114 ZPO trifft eine Regelung für den Fall, dass eine Partei „die Kosten der Prozessführung“ nicht vollständig aufbringen kann. Nach dem Wortlaut des § 114 ZPO („Prozessführung“, „Prozesskostenhilfe“) muss ein Prozess folglich bereits vorliegen. Das selbstständige Beweisverfahren nach § 485 ZPO ist jedoch kein streitiges Verfahren, welches zu einer gerichtlichen Entscheidung zugunsten oder zum Nachteil einer Partei ausfällt[3]; stattdessen ist das selbstständige Beweisverfahren ein Verfahren zur Beweissicherung und -erhebung, das vom Prozess unabhängig ist.[4]

Zudem ist eine Prozesskostenhilfe gemäß § 114 ZPO nur zu gewähren, „wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint“. Im selbstständigen Beweisverfahren geht es nur „um die neutrale und wertungsfreie Sicherung von Beweisen“[5] und es wird grade nicht die die Erfolgsaussicht der Klage geprüft.

Nach dieser Ansicht wäre eine Prozesskostenhilfe für das selbstständige Beweisverfahren schon gar nicht zulässig. Die herrschende Meinung hält die Gewährung von Prozesskostenhilfe aber auch im selbstständigen Beweisverfahren nach § 485 ZPO grundsätzlich für möglich. Denn eine Bewilligung der Prozesskostenhilfe ist nicht bloß auf das Erkenntnisverfahren beschränkt, sondern kann auch in besonderen Verfahrensarten wie dem Mahnverfahren oder dem Arrestverfahren erteilt werden.[6] Es ergibt sich nicht, weshalb für das selbstständige Beweisverfahren, ebenfalls eine besondere Verfahrensart, etwas anderes gelten sollte.

Außerdem lässt der gesetzgeberische Wille nicht erkennen, dass unter dem Wortlaut des § 114 ZPO („Prozessführung, Prozesskostenhilfe“) bloß  der Prozess im engeren Sinne erfasst sein sollte.[7] Denn schon teleologisch ergibt sich, dass die Prozesskostenhilfe die Rechtsschutzgleichheit gewährleisten soll, die erstgenannte Schlussfolgerung wäre mithin auch unter diesem Aspekt äußerst zweifelhaft. Die Prozesskostenhilfe kann somit grundsätzlich auch im selbstständigen Beweisverfahren nach § 485 ZPO bewilligt werden.

3. Voraussetzungen für eine Bewilligung

Für eine Bewilligung der Prozesskostenhilfe im selbstständigen Beweisverfahren gibt es allerdings einige Voraussetzungen, die zu beachten sind. So muss die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bieten und nicht mutwillig erscheinen. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe im selbstständigen Beweisverfahren hat grundsätzlich immer dann Aussicht auf Erfolg, wenn dem selbstständigen Beweisantrag voraussichtlich stattzugeben ist.[8] Es ist nicht auf die Erfolgsaussichten einer später zu erhebenden Klage abzustellen, sondern allein auf den Antrag zur Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens nach § 485 ZPO.[9]

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe gemäß § 114 ZPO dürfte auch nicht mutwillig erscheinen. Mutwilligkeit im Sinne der Vorschrift liegt vor, wenn absehbar ist, dass das Ergebnis des selbstständigen Beweisverfahrens mit hoher Wahrscheinlichkeit weder einer gütlichen Einigung dient noch in einem Rechtsstreit Nutzen bringen wird.[10]

Problematischer ist der Fall, in dem der Antragsgegner für das selbstständige Beweisverfahren Prozesskostenhilfe beantragt. Schon wegen des Grundsatzes der  Chancengleichheit der Parteien muss eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich auch für den Antragsgegner im selbstständigen Beweisverfahren möglich sein.[11] Hier muss es für die Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung ausreichen, wenn das prozessuale Verhalten des Antragsgegners eine sinnvolle Beteiligung am Verfahren zur zweckentsprechenden Wahrnehmung seiner Parteiinteressen darstellt.[12] Die Rechtsverteidigung ist also bereits dann hinreichend erfolgsversprechend, wenn der Antragsgegner ein rechtliches Interesse daran hat, bei den Feststellungen durch einen Sachverständigen einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen, oder wenn eine Anwaltsbeiordnung nach § 121 Abs. 1 oder Abs. 2 ZPO geboten ist.[13]

4. Ergebnis

Die Prozesskostenhilfe gemäß § 114 ZPO kann mithin auch im selbstständigen Beweisverfahren nach § 485 ZPO bewilligt werden. Es scheint nicht vertretbar, die Prozesskostenhilfe im selbstständigen Beweisverfahren für unzulässig zu halten, dies wäre nicht zuletzt ein Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Rechtsschutzgleichheit. Würde die Prozesskostenhilfe einer Partei im selbstständigen Beweisverfahren verwehrt, so stünde der Weg bis zum Bundesverfassungsgericht offen.

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Prozesskostenhilfe

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsschutzgleichheit

[3] AG Norderstedt, Beschluss vom 04. August 2017 – 47 H 6/17 -, juris

[4] https://www.anwalt24.de/lexikon/beweisverfahren_-_selbststaendiges

[5] AG Norderstedt, Beschluss vom 04. August 2017 – 47 H 6/17 -, juris

[6] OLG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 13.Februar 2002 – 8 W 12/02 -, juris

[7] OLG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 13.Februar 2002 – 8 W 12/02 -, juris

[8] LG Köln (Köln), Beschluss vom 08.03.2023 – 16 OH 13/21 –

[9] OLG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 13.Februar 2002 – 8 W 12/02 -, juris

[10] OLG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 13.Februar 2002 – 8 W 12/02 -, juris

[11] OLG Hamm (Hamm), Beschluss vom 08.05.2015 – 12 W 7/15 –

[12] OLG Hamm (Hamm), Beschluss vom 08.05.2015 – 12 W 7/15 –

[13] OLG Hamm (Hamm), Beschluss vom 08.05.2015 – 12 W 7/15 –

Erstellt am 28.03.2023

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Christina Donat

stud. jur.