Die technische Dokumentation der Hauptverhandlung im Strafrecht
Die technische Dokumentation der Hauptverhandlung im Strafrecht
Die strafrechtlichen Hauptverhandlungen könnten künftig audiovisuell aufgezeichnet werden. Dem Vorbild von anderen europäischen Staaten wie Spanien, Schweden oder Großbritannien folgend, würde es damit möglich sein, erstinstanzliche Hauptverhandlungen vor dem Landgericht oder dem Oberlandgericht in Bild und Ton aufzuzeichnen. Die technische Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung ist bereits in zehn europäischen Staaten verpflichtend.
Entwicklung
Der Bundestag nahm sich dieser Aufgabe zunächst erst zurückhaltend an. Der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) forderte erstmals 2010 im Gesetzesentwurf Bild-Ton-Aufzeichnung erstinstanzlicher Hauptverhandlungen vor Landgerichten und Oberlandesgerichten. Fünf Jahre später empfal die StPO-Expertenkommission 2015 die Prüfung der Einführung der audiovisuellen Dokumentation in ihrem Abschlussbericht. Im Februar 2020 setzte das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz eine Expertinnen- und Expertenkommission ein, die sich mit dem Thema der Dokumentation der strafrechtlichen Hauptverhandlung auseinandersetzte. Die Kommission veröffentlichte ein mehrere hundert seitiges Dokument, das sich mit den Herausforderungen und Chancen einer technischen Dokumentation der strafrechtlichen Hauptverhandlung auseinandersetzte.
Die Regierung sprach sich 2022 für eine Einführung der Aufzeichnung von Vernehmungen und Hauptverhandlungen in Bild und Ton aus. Dies spiegelte auch der Koalitionsvertrag wider, der eine Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzesentwurfs vorsah. Im Folgejahr veröffentlichte das Bundesministerium der Justiz einen Referentenentwurf zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung, das Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz (DokHVG).
Am 18. November 2023 folgte der Beschluss des Hauptverhandlungsdokumentationsgesetzes durch den Bundestag.
Dokumentation der Hauptverhandlung nach geltendem Recht
Nach dem geltenden Recht wird zur Dokumentation der Hauptverhandlung ein Hauptverhandlungsprotokoll gem. § 271 Abs. 1 S. 1 StPO angefertigt. Der Inhalt des Protokolls ergibt sich aus den §§ 272, 273 StPO. Das Protokoll muss gewisse Formalien enthalten. Weiterhin ist der Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im Wesentlichen wiederzugeben. Die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten muss ersichtlich gemacht werden. Bei dem Hauptverhandlungsprotokoll handelt es sich regelmäßig um ein reines Verlaufsprotokoll und kein Inhaltsprotokoll. Der Vorsitzende kann bei Hauptverhandlungen vor dem Amtsgericht Tonaufzeichnung einzelner Vernehmungen anordnen, nach § 273 Abs. 2 S. 2 StPO. Zurückhaltend wird auch von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine Wortlautprotokollierung gem. § 273 Abs. 3 StPO anzuordnen. Ein Protokollierungsbedürfnis liegt nur vor, wenn es auf den genauen Wortlaut der Aussage und nicht bloß auf den Inhalt ankommt. Die Richter notieren handschriftlich parallel zu der Verhandlung, was sie für wichtig erachten. Aufgrund knapper oder vor dem Landgericht und Oberlandgericht meist nicht vorhandener Protokollierung der Vernehmungsinhalte sind diese Notizen wesentliche Urteilsgrundlage.
Vorteile der technischen Dokumentation in der Tatsacheninstanz
Fraglich ist, welche Vorteile eine technische Dokumentation mit sich bringen würde. Betrachtet werden zunächst die Vorteile der technischen Dokumentation in der Tatsacheninstanz.
Zuallererst erhoffen sich die Befürworter eine Verbesserung in der Qualität der Dokumentation. Die nach dem geltenden Recht ausschließlich zulässigen Mitschriften würden nur nach rein subjektiver Wahrnehmung gewählte (relevante) Inhalte beinhalten. Eine automatische Dokumentation aller Inhalte hingegen böte die Möglichkeit, alle Inhalte des Verfahrens einzusehen und daneben eine subjektive Auswahl der als besonders relevant angesehenen Inhalte zu treffen. Ferner beeinträchtige die Notwendigkeit, Mitschriften zu erstellen, die Wahrnehmung. Es seien nämlich parallel zum Mitschreiben auch weitere Aufgaben während der Verhandlung zu erfüllen. Es bestehe das Risiko der Lückenhaftigkeit und Fehleranfälligkeit der Mitschriften. Die technische Dokumentation würde eine lückenlose und exakte und mithin vollständige Urteilsgrundlage bieten. Die technische Dokumentation solle auch eine Arbeitserleichterung für die Tatgerichte mit sich bringen, da die Erstellung von Mitschriften nun überflüssig wäre.
Die Einführung einer technischen Dokumentation würde die Möglichkeit eines „Austauschrichters“ eröffnen. Ein ausscheidender Richter könnte durch einen neuen Richter ersetzt werden, der die Verhandlung anhand der technischen Dokumentation nachvollziehen könnte. Jedoch wird gem. § 261 StPO gefordert, dass Richter Eindrücke unmittelbar in der Hauptverhandlung sammeln. Dies ist bei Austauschrichtern nicht gewährleistet.
Ein weiterer erhoffter Vorteil der technischen Dokumentation ist die Förderung einer sachlicheren Streitkultur vor Gericht. Die Kontrolle durch Kameras schaffe „Fairness“, da alle Parteien bemüht sein würden, ihre Neutralität zu wahren.
Zusätzlich könnten die Aufnahmen zu Forschungszwecken herangezogen werden. Die Aufzeichnungen würden ein effektives Mittel darstellen, um die Psychodynamik von Gerichtshandlungen zu analysieren.
Abschließend wird mit der Digitalisierung der Justiz auch ein gewisser Bürokratieabbau antizipiert. Jedoch müssten die Aufzeichnungen mindestens bis zum rechtskräftigen Abschluss oder bis zur sonstigen Beendigung des Verfahrens aufbewahrt werden.
Risiken der technischen Dokumentation in der Tatsacheninstanz
Neben der Vielzahl der oben aufgeführten Vorteile der technischen Dokumentation der Tatsacheninstanz bestehen auch Risiken.
Eines der wichtigsten Gegenargumente der Opposition ist, dass mit der technischen Dokumentation ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Verfahrensbeteiligten einhergeht. Gegen dieses Argument wird eingewendet, dass die technische Dokumentation eine allerdings vollständige und deutlich verlässlichere Erkenntnisquelle sei, die lediglich Verfahrenszwecken dienen sollte. Ein möglicher Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Verfahrensbeteiligten sei im Hinblick auf eine funktionsfähige Strafrechtspflege wohl gerechtfertigt. Ferner wird ein Risiko in der Missbrauchsgefahr gesehen.
Es könnte zu einer Vervielfältigung und/oder Weitergabe der Ton- und Bildaufzeichnungen kommen. Eine denkbare Lösung, um dieser Gefahr entgegenzuwirken, wäre die entsprechende Anwendung der §§ 58a Abs. 2, 32f StPO auf eine unerlaubte Vervielfältigung und/oder Weitergabe.
Außerdem wird befürchtet, dass eine Kamera im Gerichtssaal die Aussagebereitschaft von Zeugen und Angeklagten beeinflussen würde. Es existieren jedenfalls Anhaltspunkte dafür, dass der Akt der Aufzeichnung nach kurzer Zeit vom Aufgezeichneten nicht mehr wahrgenommen würde.
Darüber hinaus wird eingeführt, dass mit der technischen Dokumentation ein „Anschwellen“ der Urteilsgründe und damit einhergehender Arbeitsaufwand zu erwarten sei. Die Befürworter einer Einführung der technischen Dokumentation entgegnen, dass ein höherer Aufwand bei der Verbesserung der Qualität der Entscheidung gerechtfertigt sei. Es wird vorgeschlagen, eine Regelung einzuführen, um die Dokumentation in den Urteilsgründen zu berücksichtigen.
Ferner wird eine Gefahr in einem möglichen Ausfall der Technik gesehen, da es zu einer Verzögerung des Verfahrens kommen würde. Das abschließende Argument gegen eine Einführung einer technischen Dokumentation ist der Anstieg finanziellerund personeller Ressourcen. Dies ist ein relevanter Einwand, jedoch halten sich die Kosten für die technischen Anschaffungen im Rahmen, da diese Technik einerseits teilweise bereits im Zuge der Videokonferenzausrüstung angeschafft wurde, andererseits Speicherplatz (Festplatten) zuletzt immer preiswerter geworden ist. Eine jahrelange Aufbewahrung der speichwerten Dateien ist ohnehin nicht notwenig, da der dokumentarische Wert nach rechtskräftigem Verahrensabschluss gegen Null tendiert.
Die technische Dokumentation der Hauptverhandlung und die Revision
Wie lässt sich die technische Dokumentation der Hauptverhandlung und die Revision gestalten. Im Strafrecht gilt das Rekonstruktionsverbot. Demnach ist die Feststellung der Ergebnisse der Beweisaufnahme und Beweiswürdigung originär dem Tatrichter vorbehalten. Eine revisionsgerichtliche Prüfung erfolgt grundsätzlich nur auf Grundlage des angefochtenen Urteils. Das Revisionsgericht prüft nicht, ob eine Aussage tatsächlich so gemacht wurde, wie sie in den Urteilsgründen festgehalten wurde. Es erfolgt keine Beweiserhebung über Einzelheiten tatrichterlicher Beweisaufnahme, die nicht ins Protokoll aufzunehmen sind.
Eine technische Dokumentation der Hauptverhandlung wäre im Gegensatz zum Protokoll jedoch vollständig und präzise. Aussagen könnten somit nachvollzogen werden. In dieser neuen Möglichkeit liegt auch ein Argument gegen eine technische Dokumentation. Die Revisionsinstanz könnte sich vom Instrument der Rechtskontrolle zu einer weiteren Tatsacheninstanz entwickeln. Hier könnte der Gesetzgeber entsprechende Regelungen bezüglich des Rückgriffs auf technische Dokumentationen in der Revision einführen.
Mögliche Umsetzung der technischen Ausstattung –am Beispiel des Gerichtslabors an der Universität zu Köln
Eine mögliche Umsetzung der technischen Ausstattung für die Dokumentation der Hauptverhandlung in Bild- und Ton rekonstruiert das Gerichtslabor an der Universität zu Köln. Notwendig sind zwei wesentliche Komponenten, eine Videobox und ein „Rechenzentrum“. Die Signale der Kameras und Mikrofone laufen in der Videobox zusammen und werden dort zwischengespeichert. Anschließend folgt die Übertragung des audiovisuellen Protokolls in das Rechenzentrum. Im Rechenzentrum wird mithilfe von KI-Anwendungen ein automatisches Transkript der Verhandlung erstellt. In Spanien wird mit einem solchen System bereits seit Jahren gearbeitet.
Dokumentation der Hauptverhandlung nach dem Referentenentwurf
Der Referentenentwurf vom November 2022 enthält im Rahmen des Hauptverhandlungsdokumentationsgesetzes (DokHVG) einen Vorschlag, wie die digitale Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung gestaltet werden soll.
Es wird verlangt, dass die erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor den Landgerichten und Oberlandgerichten in Bild und Ton aufgezeichnet werden, § 271 Abs. 2 StPO-E. Die Tonaufzeichnung sollte automatisiert in ein digitales Textdokument übertragen werden (Transkript), § 271 Abs. 2 StPO-E. Die Referenten sehen vor, dass das Hauptverhandlungsprotokoll auch dann erstellt werden muss, wenn eine Bild- und Ton-Dokumentation erfolgt, § 271 Abs. 1 StPO-E.
Die Aufzeichnung haben unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte der aufgezeichneten Personen zu erfolgen, § 273 Abs.1 StPO-E.
Eine vorübergehende Störung der Aufzeichnung oder Transkription hindere den Fortgang der Hauptverhandlung nicht, § 273 Abs. 2 StPO-E.
Gem. § 273 Abs. 4 StPO-E sehen die Referenten vor, dass die Aufzeichnungen nach dem rechtskräftigen Abschluss oder sonstiger Beendigung des Verfahrens zu löschen sind. Ferner sollte der Vorsitzende eine längere Speicherung anordnen können, wenn eine Nutzung in einem anderen Verfahren zu erwarten sei. Die Aufzeichnungen sollten nur für die Zwecke des Strafverfahrens verwendet werden. Innerhalb des Verfahrens, in dem sie erstellt wurden, sollten sie zu Beweiszwecken genutzt werden können, ohne die Einwilligung der Aufgezeichneten. Für die Verwendung in anderen gerichtlichen oder behördlichen Verfahren sei eine Einwilligung der Angeklagten, Zeugen und Nebenkläger erforderlich (§ 273 Abs. 5 StPO-E).
Der Staatsanwaltschaft, dem Verteidiger und dem anwaltlichen Vertreter der Verletzten sollten nach jedem Verhandlungstag unverzüglich Zugang zu den Aufzeichnungen und Transkripten erhalten, § 273 Abs. 6 StPO-E. Verletzte und in § 403 S. 2 StPO genannte Personen, die nicht anwaltlich vertreten sind, dürften Aufzeichnungen nach jedem Verhandlungstag unverzüglich in Diensträumen unter Aufsicht einsehen, § 273 Abs. 7 StPO-E. Die Aufzeichnungen, die die Verteidiger oder der Rechtsanwalt im Rahmen der Akteneinsicht oder nach Abs. 6 zur Verfügung gestellt werden, dürften dem Angeklagten, dem Verletzten oder den in § 403 S. 2 StPO genannten Personen nicht überlassen werden, § 273 Abs. 8StPO-E.
Der Referentenentwurf sieht im § 274 Abs. 2 StPO-E vor, das eine Berichtigung des Protokolls anhand der Aufzeichnung zulässig sei.
Abschließend wird vorgeschlagen, dass die Verbreitung oder öffentliche Zugänglichkeitsmachung von Bild- und Ton-Aufzeichnung einer Hauptverhandlung in Strafsachen oder einer Vernehmung im Ermittlungsverfahren bestraft werden soll, § 353d Nr. 4 StGB-E. Es wurden keine Regelungen in Bezug auf das Revisionsrecht getroffen.
Die Referenten erhoffen sich die Einführung einer bundesweiten Verpflichtung zur Aufzeichnung ab 01.01.2030.
Dokumentation der Hauptverhandlung nach dem Bundestag
Am 15. November 2023 hat der Rechtsausschuss (6. Ausschuss) des 20. Bundestages den endgültigen Entwurf des Gesetzes zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung (DokHVG) veröffentlicht. Dieser wurde vom Bundestag am 17. November 2023 gebilligt. Die Vorlage fand in der 1040. Sitzung der Länderkammer keine Mehrheit. Der Bundesrat rief einen Vermittlungsausschuss ein, in dem eine Kompromisslösungersucht wird. Ein Termin für die Behandlung der Gesetze steht noch nicht fest.
Der Entwurf des Rechtsausschusses unterscheidet sich eindeutig von dem des Referentenentwurfes. Zunächst ist nur eine Tonaufnahme der erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor dem Landgericht und Oberlandgericht verpflichtend, § 271 Abs. 2 StPO-E. Diese Tonaufzeichnung sei automatisiert in ein digitales Textdokument zu übertragen (Transkript), § 271 Abs. 2 StPO-E. Die Landesregierungen könnten allerdings durch Rechtsverordnung für ihren Bereich bestimmen, dass die Hauptverhandlung abweichend von § 271 Absatz 2 Satz 2 der Strafprozessordnung zusätzlich durch eine Bildaufzeichnung dokumentiert werden soll. Die Pflicht zur zusätzlichen Bildaufzeichnung könnte auch nur auf einzelne Gerichte, Spruchkörper oder allgemein bestimmte Verfahren beschränkt werden. Diese Ermächtigung könnte durch Rechtsverordnung auf die zuständigen Landesministerien übertragen werden.
Das Hauptverhandlungsprotokoll muss bei jedem Verfahren erstellt werden, wie auch nach dem Entwurf des Rechtsausschusses. Gemäß § 273 Abs. 1 StPO-E soll eine vorübergehende Störung der Aufzeichnung oder Transkription den Fortgang der Hauptverhandlung nicht hindern. Die Art und Dauer eventueller Störungen sollen aktenkundig gemacht werden, § 273 Abs. 1 StPO-E.
Ferner wird dem Gericht eingeräumt, unter bestimmten Voraussetzungen durch unanfechtbaren Beschluss von der Aufzeichnung und deren Transkription abzusehen, § 273 Abs. 2 StPO-E.
Für die Tonaufzeichnung und ihre Transkription seien gem. § 273 Abs. 13 StPO-E nur Äußerungen in der deutschen Sprache relevant.
Der Gesetzesentwurf des Ausschusses sieht vor, dass die Aufzeichnungen nur für Zwecke des Strafverfahrens verwendet werden können. Für die Verwendung der Aufzeichnungen in anderen gerichtlichen oder behördlichen Verfahren ist die Einwilligung der Angeklagten, Zeugen, Sachverständigen und Nebenkläger erforderlich. Vor allem seien die Aufzeichnungen und Transkripte in der Hauptverhandlung, in der die Aufzeichnung und Transkription erfolgt, keine Beweismittel im Sinne des § 244 (§ 273a Abs. 2 StPO-E).
Der Entwurf sieht in § 273b Abs. 1 StPO-E vor, dass Verteidiger und anwaltliche Vertreter des Nebenklägers oder nebenklageberechtigten Verletzten oder einer in § 403 S. 2 StPO genannte Personen während des laufenden Verhandlungstages oder nach jedem Verhandlungstag unverzüglich Zugang zu Aufzeichnung und Transkript erhalten. Ferner sollten gem. § 273b Abs.2 StPO-E die Aufzeichnungen, die der Verteidiger oder der Rechtsanwalt im Rahmen der Akteneinsicht oder nach Abs. 1 zur Verfügung gestellt werden, nicht dem Angeklagten, dem Nebenkläger oder nebenklageberechtigten Verletzten oder einer in § 403 S. 2 StPO genannten Personen überlassen werden.
Wie im Referentenentwurf wird auch vom Ausschuss die Berichtigung des Protokolls anhand der Aufzeichnung für zulässig erklärt, § 274 Abs. 2 StPO-E.
Ferner soll, wer eine Bild-Ton-Aufzeichnung oder eine Tonaufzeichnung einer Hauptverhandlung in Strafsachen oder einer Vernehmung im Ermittlungsverfahren verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder unbefugt weitergibt, wenn diese Weitergabe geeignet ist, eine Person, zu der die Bild-Ton-Aufzeichnung oder die Tonaufzeichnung Angaben enthält, oder eine ihr nahestehende Person der Gefahr einer gegen sie gerichteten rechtswidrigen Tat gegen Leib, Leben oder die persönliche Freiheit auszusetzen, bestraft werden, § 353d Nr. 4 StGB-E.
Auch der Entwurf des Rechtsausschusses enthält keine Regelungen in Bezug auf das Revisionsrecht und beschließt die bundesweite Verpflichtung zur Aufzeichnung ab 01.01.2030.
Meinungen zu dem Gesetzesentwurf des Bundestages
Die Meinungen zum Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz (DokHVG) gehen in der Politik und auch bei den Juristen auseinander. Vertreter der Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP stimmten mit Vertretern von Die Linke für den Gesetzentwurf.
Die CDU/CSU sowie die AfD haben gegen den Gesetzesentwurf gestimmt. Dr. Günter Krings, Abgeordneter der CDU und rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, äußerte sich wie folgt: „… Statt der Justiz mit einem Pakt für einen Rechtsstaat zu helfen und gemeinsam mit den Ländern für eine bessere Justizausstattung zu sorgen, behindert die Regierung mit dem Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz die Arbeit der Justiz. Der Gesetzentwurf atmet ein tiefes Misstrauen gegen die Arbeit der Richter. Das schwächt die Akzeptanz unseres Rechtsstaates. Dadurch, dass den Ländern überlassen wird, ob sie Gerichtsverhandlungen per Video oder nur im Ton aufzeichnen, droht zusätzlich ein Flickenteppich bei den Strafprozessen in Deutschland. Die Prozessordnungen waren aus gutem Grunde die ersten Gesetze, die vor fast 150 Jahren im Deutschen Reich vereinheitlicht wurden. Die Ampel-Gesetzgebung marschiert nun zurück in die prozessrechtliche Kleinstaaterei.“
Nicht nur die Politik ist gespalten, auch die Juristen haben unterschiedliche Stellungen bezüglich des Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz (DokHVG).
Die Bundesrechtsanwaltskammer hat sich schon früh für eine Bild-Ton-Aufzeichnung erstinstanzlicher Hauptverhandlungen geäußert. 2010 forderte der Strafrechtsausschuss der BRAK in einem Gesetzesentwurf Bild-Ton-Aufzeichnung erstinstanzlicher Hauptverhandlungen vor den Land- und Oberlandesgerichten einzuführen.
Im Gegensatz dazu lehnt der Deutsche Richterbund die Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz (DokHVG) ab. Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes Sven Rebehn erläutert, dass die Richter den Gesetzesentwurf nicht wegen fehlender Aufgeschlossenheit für sinnvolle Modernisierungsschritte ablehnen würden. Vielmehr führe ein solches Gesetz zu erheblichen Mehrbelastungen für die ohnehin unterbesetzten Strafgerichte und ziehe mithin die Strafverfahren weiter in die Länge. Kameras und Audiogeräte würden Opfer und Zeugen belasten und somit die Wahrheitsfindung erschweren. Die Staatsanwaltschaft lehnt ein Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz (DokHVG) ab, will ihnen das Risiko des Missbrauchs der Aufzeichnungen zu hoch erscheint und eine erhebliche Schwächung des Opferschutzes in dem Gesetz sehen.
Anhaltspunkte für die Ablehnung einer audiovisuellen Dokumentation durch den Deutsche Richterbund und die Generalstaatsanwaltschaften
Fraglich ist, woher die Ablehnung einer audiovisuellen Dokumentation durch den Deutsche Richterbund und der Generalstaatsanwaltschaft stammt? Unanfechtbar ist die Korrelation zwischen der Kameraüberwachung eines Ortes und ein daraus folgene Erhöhung des Sicherheitsniveaus dieses Ortes. Eine Kamera im Gerichtssaal würde zu einer Kontrolle der Richter und Staatsanwälte führen. Sie könnten sich nicht mehr alles im Gerichtssaal erlauben. Fälle, in denen Richter in der Vergangenheit zu weit gegangen sind, sind nicht selten (NZA 2012, 1250; NJW 2008, 782; NJW 1995, 847; NJW 2000, 748; „Richter beleidigt deutschen U21-Nationalspieler“). Diese Art von Kontrolle könnten einige Richter als eine Einschränkung ihrer richterlichen Unabhängigkeit gem. Art. 97 Abs. 1 GG empfinden. Eine mögliche Verabschiedung des Hauptverhandlungsdokumentationsgesetzes (DokHVG) würde sie in ihren Freiheiten beschränken und somit in ihre Unabhängigkeit eingreifen.
(Stand: 25.3.2024)
Quellen:
Bundesministerium der Justiz und für Verbrauchschutz (BMJV): Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, Berlin, Oktober 2015
Deutscher Bundestag: Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung (Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG); Drucksache 20/8096, 23.08.2023
Deutscher Bundestag: Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 20/8096; Drucksache 20/9359, 15.11.2023
Deutscher Bundestag: Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksachen 20/8096, 20/9359; Drucksache 20/9387, 15.11.2023
Deutscher Bundestag: Unterrichtung durch den Bundesrat – Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten – Drucksachen 20/8095, 20/9354 – Anrufung des Vermittlungsausschusses; Drucksache 20/9877, 19.12.2023
Deutscher Bundestag: Unterrichtung durch den Bundesrat – Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer Vorschriften – Drucksachen 20/8096, 20/9359, 20/9387 – Anrufung des Vermittlungsausschusses; Drucksache 20/9878, 19.12.2023
Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer: Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Wahrheitsfindung im Strafverfahren durch verstärkten Einsatz von Bild-Ton-Technik, BRAK-Stellungnahme-Nr. 1/2010, Februar 2010
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw46-de-hauptverhandlungsdokumentation-976608
https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-977932
https://www.stiftung-uni-koeln.de/aktuelles/moderne-hochschullehre-neues-gerichtslabor-eroeffnet/
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Fachanwalt für Medizinrecht und Versicherungsrecht
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Ioanna Lamjadli
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