Zur Legalisierung des Arzneimittelrecyclings in Heimen und Hospizen

Dr. PH Martin Riemer, Brühl/ Rheinland

Die Arzneimittelausgaben erhöhen sich von Jahr zu Jahr. Da das Modell der GKV einerseits darauf angelegt ist, jedem Mitglied die seinen Bedürfnissen entsprechende medizinische Versorgung auf neustem Stand zukommen zu lassen, andererseits der Altersdurchschnitt der Bevölkerung nicht zuletzt dank des medizinischen Fortschritts stetig steigt, sich mit zunehmendem Lebensalter Gebrechen und Krankheiten aber zwangsläufig häufen, ist eine einfache Lösung des Kostenproblems innerhalb des bestehenden Systems nicht in Sicht. Im Grunde bedarf es der Abkehr von der bisherigen Umverteilung hin zu mehr Eigenverantwortung, so wie schon jetzt in der Privaten Krankenversicherung – mit allen diese Veränderung in der Diskussion begleitenden Widerständen.

1. „Der Fall des Landarztes Dr. Berendes“

In der Gesundheitspolitik werden die unterschiedlichsten Modelle diskutiert, wie die Ausgabenspirale bei den Arzneimitteln zumindest verlangsamt werden kann. Eine Idee, der im Folgenden nachgegangen werden soll, stellt auf das „Recycling“ nicht verbrauchter Medikamente ab. Das ärztliche Verordnungsregime im Krankenhaus ist hiervon nicht betroffen, denn stationäre Patienten werden aus der Krankhausapotheke versorgt, die eine stückzahlgenaue Therapie auf Station möglich macht, anders als in der ambulanten Praxis, wo Patienten vorgefertigte Packungsgrößen aus der Apotheke erhalten. Vor allem die knapp 135.000 in der Bundesrepublik niedergelassenen Ärzte verschreiben daher häufig übergroße Medikamentenmengen, auch um bei chronischen Leiden nicht fortgesetzt neue Rezepte ausstellen zu müssen, so dass schätzungsweise nur 4/5 der Schachtelinhalte verbraucht werden. Die 20 %-Übermenge, die aber ebenfalls bezahlt werden muss, wird von den Patienten später vernichtet. Bei Gesamtkosten für Arzneimittel im Jahr 2003 von – alle Leistungsträger zusammen genommen – 37,5 Mrd. Euro, also 15 % am Gesamtbudget von 240 Mrd. Euro, sind 20 % immerhin 7,5 Mrd. Euro und so lässt sich schnell erklären, dass eine effektive Bekämpfung des „Arzneimittelmülls“ nicht unerheblich zur Kostenkonsolidierung beitragen könnte. Allein – der Streit dreht sich darum – was ist eine „effektive Bekämpfung des Arzneimittelmülls“?

Ein Hausarzt aus Lügde in den Lipper Bergen an der Grenze zu Ostwestfalen, Dr. Bertel Berendes, hatte diese Frage 1999 erstmals ins Licht der Öffentlichkeit gerückt, indem er sich zum Gegenstand eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens machen ließ. Nicht wenige seiner Gerontopatienten, egal ob zu Hause oder im Altenheim, verstarben oder wurden auf die letzten Tage hin in Kliniken eingewiesen und dort auf neue Medikamente umgestellt, so dass teils sehr teure Präparate zurück blieben, die der Arzt später bei Hausbesuchen bei den Angehörigen wieder einsammelte, um sie zur Vermeidung von Neurezepten in seiner Praxis erneut auszugeben. Damit stieß er jedoch nicht auf ungeteilte Zustimmung: Der Hausarzt erhielt eine Anzeige, denn formal betrachtet verstieß er gegen § 43 Abs. 1 AMG, der diese Form des Inverkehrbringens von Arzneimitteln verbietet. Es folgte gem. §§ 43 Abs.1 S.1, 97 Abs. 2 Ziff.10 AMG die erstinstanzliche Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit zu 5.000 DM durch das Amtsgericht Detmold und im Wege der Rechtsbeschwerde die Aufhebung des Urteils durch das OLG Hamm, das in einem Parallelverfahren auch die Wettbewerbswidrigkeit des Verhaltens des Arztes verneinte. Dem Oberlandesgericht waren die Feststellungen der Amtsrichterin zu pauschal, die die Einzeltaten nicht hinreichend genau bezeichnet hatte. Die OLG-Richter ließen dabei auch erkennen, dass kein Krimineller, sondern allenfalls ein Idealist gehandelt hatte, der lediglich ein Stück über das Ziel hinaus geschossen war. Die Patienten zogen als „Fanclub“ mit zu den Verhandlungen und die Geschichte des „tapferen Hausarztes“ im Kampf gegen das „geldgierige Pharmakartell aus Apothekern und Herstellerfirmen“ füllte Hunderte von Tageszeitungen und Journalen und erschien auf so ziemlich allen Kanälen im Fernsehen. Die Geschichte wurde von den Journalisten gerne aufgegriffen und Dr. Berendes – mit Ausnahme bei den Pharmazeuten – bundesweit zum Sympathieträger. Auch die Ärztekammer, die Kassenärztliche Vereinigung und die Kollegen stellten sich hinter ihn.

2. Kostenspirale verlangsamen

Der Vorschlag, den ambulanten Ärzten das Einsammeln und Wiederausgeben nicht verwendeter Medikamenten durch eine Änderung von § 43 AMG generell zu gestatten, stößt ungeachtet des Medienechos bei den Verantwortlichen jedoch weiterhin auf Vorbehalte. Es sprechen auch gute Gründe dafür, die Recyclingpraxis des Landarztes in der dort praktizierten Form nicht bundesweit freizugeben, denn was in der überschaubaren Idylle von Lügde gut funktionieren mag, wo noch jeder seine Dorfnachbarn kennt, und das schon in der dritten Generation, wo der Landarzt neben dem Pfarrer, dem Lehrer, dem Bürgermeister etc. wie zu Großmutters Zeiten noch als Autorität gelten mag, kann sich für Durchlaufpraxen in Großstädten, teils mit hohem Migrantenanteil, die sich mit dem Arzt auch nur eingeschränkt verständigen können, wiederum ganz anders darstellen. Die Widerstände gegen das Pharmarecycling rühren einerseits aus dem Kreis der Apotheker, die – durchaus berechtigt – darauf hinweisen, dass hierin eine Abkehr vom bisherigen Prinzip der Arzneimittelsicherheit liegt. Denn wie bei Nahrungsmitteln auch: Was einmal über die „Ladentheke“ gegangen ist, egal wie aufwendig verpackt und verschweißt, darf nicht mehr uneingeschränkt verwendet werden, allenfalls noch als Tiernahrung.

3. Medikamentenrecycling

Wenn man als Arbeitshypothese davon ausgeht, dass 1. in Deutschland eine zu große Medikamentenmenge verordnet wird, sich dies 2. im ambulanten Bereich anders als in der stationären Versorgung nicht grundsätzlich vermeiden lässt und 3. Arzneimittel prinzipiell wiederverwertet werden können, sofern inhaltlich noch nicht verfallen, stellt sich die Frage, wie ein solches Recyclingsystem sinnvoll in die Patientenversorgung integriert werden kann. Es geht vom Ansatz her nicht darum, die Ärzte zu privilegieren und die Rechte der Apotheker zu beschneiden, sondern um eine Kostenoptimierung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Arzneimittelsicherheit. Die dadurch erzielten Einsparungen sollen im Gesundheitssystem verbleiben, könnten aber sinnvoller für Forschung und die Versorgung mit innovativen Präparaten ausgegeben werden.

a) Klinikbereich

Ein Regelungsbedarf für den stationären Bereich der Kliniken besteht, wie bereits angesprochen, nicht. Wer ins Krankenhaus aufgenommen wird, erhält aus der Krankenhaus- oder Stationsapotheke aus großen Mengen (Klinikpackungen) einzeln abgezählte Verordnungen. Da die Arzneimittel in der Klinik nicht für jeden Patienten gesondert beim Pharmagroßhändler bestellt werden, sondern für das gesamte Klinikkollektiv für einen längeren Zeitraum, verfallen sie im Krankenhaus allenfalls ausnahmsweise. Hierfür eine Regelung treffen zu wollen erschiene aber unverhältnismäßig.

b) Altenheime und Hospize

Keine Bedenken würden sich hinsichtlich der Arzneimittelsicherheit bei Altenheimen und Hospizen ergeben, zumal der Pflegebetrieb dort nicht grundsätzlich anders organisiert ist als im Krankenhaus. Auch Pharmazeuten äußern hierzu keine Vorbehalte, denn die Arzneimittel, die der Vertrauensarzt des Heimes oder der Hausarzt verordnet haben, lagern nicht beim Patienten, sondern bei den Pflegekräften und werden von dort portioniert ausgegeben. Sicherheitsüberlegungen dürften sich daher erübrigen, solange das Haltbarkeitsdatum nicht überschritten wurde. Wenn aber der Patient verstirbt oder verlegt wird, werden die für ihn eingelagerten überbleibenden Medikamente zur Zeit noch vernichtet, obgleich sie durchaus weiter verwendet werden könnten – entweder für andere Bewohner oder durch das Überlassen an den Hausarzt. Hier liegt eine klar zu identifizierende Verschwendung vor, die durch nichts sachlich gerechtfertigt werden kann. Das Manko wurde auch bereits erkannt. Im Koalitionsvertrag der CDU/CSU-SPD-Regierung von 2005 wird auf Seite 106 ausgeführt, dass ,,[…] eine Verwendung von nicht verabreichten Opiaten und anderen Medikamenten nach dem Tod eines Patienten in Hospizen und Heimen möglich […]“ gemacht werden soll. – Besonders in der letzten Lebensphase erhalten Patienten multiple und teils sehr teure Verordnungen, die für andere Senioren noch gut weiter Verwendung finden könnten.

c) Ambulante Versorgung

Sehr schwierig wird sich eine grundsätzliche Neuregelung für den ambulanten Bereich darstellen. Denn Arzneimittel, die einmal in Patientenhand gelangt sind, können manipuliert werden. Ein Arzt kann nicht vorher sagen, was ein ihm unbekannter, drogenabhängiger, psychisch gestörter oder demenzkranker Patient mit den Pharmazeutika zuvor angestellt hat, die er ihm zurückbringt. Wer vorsätzlich in krimineller Absicht die Substanzen verfälschen wollte, indem er entweder mit einer Mikronadel in das Blister toxische Stoffe injiziert oder den Streifen mit den eingeschweißten Kapseln kurzzeitig in die Mikrowelle legt, oder ihn nur einfach versehentlich längere Zeit im Sommer auf der Fensterbank oder im Winter auf dem Ofen liegen lässt, könnte hierbei unerkannt bleiben, wenn die Veränderungen äußerlich nicht auffallen. Die verschiedenen pharmazeutischen Substanzgruppen mögen unterschiedlich auf solche Einwirkungen reagieren. Eine Reduzierung ihres Wirkgehaltes, was bereits für ein Asthmamittel und erst Recht einem Kardiakum zu einem tödlichen Verlauf führen könnte, kann jedoch nicht ausgeschlossen werden. Den Schaden hätten die nachfolgenden Patienten und auch der Arzt selber, dessen Reputation beeinträchtigt würde. Den Bedenken gegen eine ambulante Neuverteilung von Arzneimitteln lässt sich daher auch nur bedingt das Argument entgegen halten, dass eine toxische Wirkung oder Infektionsgefahr nicht zu erwarten ist, da sie sonst bei falscher Lagerung auch bei dem Patienten auftreten könnte, für den die Verschreibung ursprünglich gedacht war. Jedenfalls müssten die Ärzte genau dokumentieren, von wem die zurückgenommenen Arzneimittel stammen, um im Schadensfall Aufklärung leisten zu können, was zwangsläufig zu einer Steigerung der ohnehin ungeliebten Bürokratie beiträgt. Es stellen sich weitere Fragen: Wie will ein Mediziner, der im Studium zumal längst nicht den Kenntnisstand eines Pharmazeuten vermittelt bekommt, allein durch Blickprüfung ohne Laborprobe feststellen, durch welche Hände die Arzneimittel gegangen sind? Wie will der Arzt, vor allem wenn er sich nicht auf seinen Patientenstamm verlassen kann und auch Postsendungen mit Arzneimitteln entgegen nimmt und neu verteilt, rechtlich und ethisch die Gewähr dafür übernehmen, dass in den Medikamenten nur derselbe Wirkstoff und noch in derselben Konzentration vorhanden ist, der laut Herstellerangabe enthalten sein soll? Es wird ihm mit letzter Gewissheit nicht gelingen, denn es gibt nun einmal sowohl fahrlässig handelnde als auch kriminell veranlagte Patienten, so dass Unsicherheiten verbleiben. Erwähnt werden muss auch, dass nicht für alle Arztgruppen gleichermaßen eine Teilnahme am „Recycling“ notwendig und sinnvoll erscheint. Bei Allgemeinmedizinern und Internisten mag es sich aufgrund der Typik der dort behandelten Krankheitsbilder und Patientengruppen (insbesondere Gerontopatienten) anders verhalten als bei z.B. Chirurgen, Dermatologen, Augenärzten, Pädiatern oder Psychiatern, wo die Patienten eher selten überzählige Verordnungen zurück behalten.

Wenn der Landarzt Dr. Berendes in seinem kleinen überschaulichen Reich einen solchen Modus dennoch praktiziert, mag dies vielleicht gerade noch verantwortet werden können. Die Arzneimittelsicherheit ist aber kein Gut, das beliebig ins Ermessen der Ärzteschaft gestellt werden darf, sondern pharmazeutischer Aufsicht bedarf. Denn weder für den medizinischen Einzelfall noch für das Gesundheitssystem insgesamt wird man es als Vorteil bezeichnen können, wenn knapp 400.000 approbierte Mediziner das Recht zugestanden würde, an dieser Stelle Ermessen auszuüben. Die Therapieergebnisse wären zu unterschiedlich. Das „Modell Dr. Berendes“ ist nach jetzigem Kenntnisstand nur sehr bedingt und wenn überhaupt nur mit großer Vorsicht auf die Bundesrepublik insgesamt übertragbar – auch wenn Dr. Berendes längst nicht der einzige Arzt sein mag, der so verfährt, sondern als primus inter pares nur einer der weniger, die sich öffentlich dazu bekannt haben. Das Recyclingmodell des Landarztes in den Bergen, mit seinem überschaulichen Patientenstamm ohne Modifikationen auf über 80 Millionen Bundesbürger zu übertragen, wäre wahrscheinlich eher ein deutlicher Rückschritt für das Versorgungssystem, denn die Verunsicherung auf Patientenseite, nicht optimal versorgt zu werden, und der damit verbundene Vertrauensverlust in die Medizin insgesamt wären enorm. Nicht von jedem Patienten kann im Übrigen verlangt werden, „recycelte Arzneimittel“ einzunehmen. Das Modell funktioniert daher ohnehin nur auf freiwilliger Basis.

d) Haftungsrisiko

Verordnungsfehler, teils mit, teils ohne haftungsrechtliche Konsequenzen, ereignen sich in den Praxen ohnehin. Hinzu kommt aber das Haftungsrisiko für die Ärzte aus §§ 280 Abs. 1, 611, 823 ff., 253 Abs. 2 BGB, wenn sie Arzneimittel neu verteilen, die bereits in Patientenhand waren. Die Produkthaftung der Hersteller aus §§ 84 ff. AMG kann selbstverständlich nur für neuwertige Produkte gelten, die auf dem Vertriebsweg über die Apotheken abgegeben werden, nicht aber für Recyclingprodukte. Wenn „recycelte Arzneimittel“ zu Schäden führen oder Gesundheitsschäden aus anderer Ursache beim Patienten vorliegen, aber die Kausalität vom pharmazeutischen Gutachtern vor Gericht als grundsätzlich möglich bejaht werden kann, gelangt der Arzt für den Schadensfall mit seinem gesamten Privatvermögen in die Haftung. Da nach geltender Rechtslage das Medikamentenrecycling gemäß § 43 AMG verboten ist, wird die Haftpflichtversicherung des Arztes wegen Vorsatz bei der Verletzung der ärztlichen Pflichten jegliche Haftung zurückweisen und den Versicherungsnehmer in Regress nehmen, soweit die Versicherung überhaupt gegenüber dem Patienten zum Eintritt verpflichtet ist. Die Behandlung mit Recyclingmedikamenten ist zugleich grob fehlerhaft und rechtswidrig. Die Einwilligung des Patienten dürfte unbeachtlich sein, weil er kaum vollständig über alle wesentlichen Risiken aufgeklärt werden kann, denn es handelt sich stets um Einzelfallexperimente, zu denen keine unter kontrollierten Umständen gewonnenen Forschungsdaten vorliegen. Wenn dann gutachterlich bejaht wird, dass der Gesundheitsschaden des Patienten grundsätzlich auf eine Fehlmedikation zurückgeführt werden kann, muss der Arzt im Wege der Beweislastumkehr vortragen, darlegen und mit naturwissenschaftlicher Sicherheit beweisen, dass kein Ursachenzusammenhang besteht. Dass ihm dies nicht gelingen wird, liegt auf der Hand. Arzthaftungsprozesse werden bei diesen Konstellationen, bei denen Unsicherheiten bei der Aufklärung des Schadensfalls zu Lasten des Therapeuten gehen, so gut wie immer über die Beweislast entschieden.

Das Risiko für den Arzt, bei der geltenden Rechtslage „Medikamentenrecycling“ zu betreiben, darf daher nicht unterschätzt werden. Neben der Zahlung eines Schmerzensgeldes wird er zum Ersatz aller weiteren materiellen Schäden des Patienten verpflichtet; insbesondere bei Geburtsschadensfällen ist dies äußerst kostspielig. Es scheint angesichts der hier beschriebenen unkalkulierbaren Risiken auch schwer vorstellbar, dass die Berufshaftpflichtversicherungen der Ärzte bereit sein werden, das Risiko aus den Feldversuchen mit Second-Hand-Medikamenten zu versichern, selber wenn der Gesetzgeber eine neue Rechtsgrundlage hierfür schaffen sollte. Oder es werden solche Versicherungen nur gegen horrende Prämien erhältlich sein, was jedoch wiederum die Akzeptanz bei den Ärzten schmälern wird. Als weiterer Dämpfer für die Motivation zur Teilnahme am Recyclingsystem muss die ärztliche Standesaufsicht gesehen werden. Wer gebrauchte Medikamente auf einem nicht zugelassenen Vertriebsweg in Verkehr bringt, riskiert de lege lata den Widerruf der Approbation wegen Unzuverlässigkeit (§ 5 Abs. 2 BÄO). Ein Arzt, der sich vorsätzlich gegen die Rechtsordnung auflehnt und seine Patienten dabei in Gefahr bringt, ist unzuverlässig. Unabhängig davon könnte die Kassenärztliche Vereinigung gemäß § 95 Abs. 6 SGB V auch die Zulassung als Vertragsarzt entziehen, wenn das konkrete Verhalten des Arztes eine Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten erkennen lässt. Natürlich ließen sich die Risiken für Ärzte und Patienten durch Auswahlkriterien weiter reduzieren. Für ein Recycling eignen sich ohnehin nur steril abgepackte verblisterte Medikamente (Tabletten, Dragees, Kapseln, Zäpfchen), nicht aber nach Anbruch unsterile Sprays, Tropfen, Pflaster oder Salben. Hierauf wäre in einem ersten Schritt zu achten. Die Pharmaindustrie wirbt damit, dass ihre Medikamente teils tropensicher eingepackt seien, so dass sich, die Richtigkeit dieser Aussage unterstellt, unter den normalen Tagestemperaturen in Deutschland Änderungen an diesen Produkten kaum ergeben dürften. Fraglich ist jedoch, wie der Aspekt der Tropensicherheit zu behandeln wäre, wenn Patienten die Medikamente im Urlaub nach z.B. Malaysia oder Venezuela mitgeführt haben. Auch werden sich nicht alle Substanzgruppen unkritisch für eine Weitergabe eignen, z.B. keine Impfstoffe, die gekühlt gelagert werden müssen, wie überhaupt alle i.m.- und i.v.-Medikationen wegen der Unmittelbarkeit ihrer Wirkung ausgenommen bleiben sollten.

Auf Patientenseite wird man Personen unter 18 Jahren, Strafgefangenen, sowie unter Betreuung stehende oder im Maßregelvollzug untergebrachte Personen kaum diesen Experimenten aussetzen wollen, ebenso wenig wie Schwangeren bzw. insgesamt Frauen im gebährfähigen Alter die Teilnahme versagt werden muss, denn es dürfen keine teratogenen Risiken für die Frucht begründet werden. Somit wären im Wege einer Rechtsverordnung über eine Änderung von § 43 AMG hinaus Positiv- bzw. Negativlisten erforderlich, welche Substanzen überhaupt vom Patienten zurückgenommen und weitergegeben werden dürfen, ebenso von welchen Patienten die Rücknahme erfolgen (Frage der Zuverlässigkeit) und an welche Gruppen wieder ausgegeben werden darf (Frage des geringstmöglichen Risikos). Es wäre ferner zu klären, ob hierbei nur GKV- oder auch PKV-Patienten berücksichtigt werden können, ob also auch zwischen den Systemen, Kassen und Versicherungen, die die Medikationen finanziert haben, verteilt werden darf. Der dabei abzuschätzende bürokratische Aufwand sollte keineswegs unterschätzt werden und verlangt nach Berücksichtigung, wenn der Gesamtkostenvorteil für den Topf der Arzneimittelausgaben kalkuliert wird. Möglicherweise werden die Ärzte auch höhere Honorare für Beratungen verlangen, da es für sie aufwendiger ist, neben den Apotheken einen zweiten Vertriebsweg für Pharmaka zu organisieren und zu dokumentieren, als lediglich zum Rezeptblock zu greifen. Als Lösungsansatz zur Reduzierung des Bürokratieaufwands könnte aus diesen Überlegungen heraus erwogen werden, dass in einem ersten Schritt nur Gerontopatienten in der Altersgruppe über 65 Jahre an einem solchem kontrollierten Modellversuch teilnehmen. Diese Bevölkerungsgruppe, die ständig größer wird, wäre zum einen weniger schadensanfällig als jüngere Patienten, denn ihr statistisches Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko beruht – altersbedingt – auf anderen Ursachen. Auch hat dieses Patientenklientel zum anderen weitgehend homogene Behandlungsbedürfnisse (z.B. Herz-Kreislauf-Präparate, Psychopharmaka, Schmerzmittel), so dass sich die Umverteilung damit zunächst auf einen überschaubaren Kreis von Substanzgruppen reduzieren ließe. Zugleich würden die Senioren – als Nettoempfänger vor allem in der GKV – auf diesem Weg einen Solidarbeitrag zur Kostenkonsolidierung leisten.

e) Auseinzeln in der ambulanten Versorgung

Auch der Appell der Gesundheitsministerin an die Ärzte, zurückhaltend zu verordnen, weist auf einen weiteren Lösungsansatz, nämlich das sog. Auseinzeln. Dieses Modell, das u.a. in den USA praktiziert wird, besagt, dass der Arzt dem Patienten nicht lediglich die vorgefertigten Packungsgrößen NI, N2 oder N3 verordnen, sondern auf das Rezept eine beliebige Zahl von Tabletten oder Dragees notieren kann: Z.B. als Stückzahl nach ärztlichem Ermessen 3, 17, 21 anstelle von – beispielsweise – NI (6), N2 (30) oder N3 (50). Bei den vorgefertigten Packungen ist die Wahrscheinlichkeit sehr viel größer, dass Überbleibsel entstehen. Natürlich eignen sich Tropfen und Salben für das Auseinzeln nicht, hingegen aber alle portionierbaren Arzneimittel, die der Apotheker entweder aus einem Blister herausschneiden und einzeln berechnen oder – wie z.B. in den USA praktiziert – aus einer Medikamentenflasche in eine Plastikdose abzählen kann. Solange den Ärzten nicht gestattet ist, stückzahlgenau zu verordnen, weil es Apotheken untersagt ist, andere als die vorgefertigten Mengen abzugeben, fällt der Vorwurf, dass zu große Mengen verordnet werden, zunächst auf die Gesundheitspolitik zurück, die eine flexiblere Regelung bislang nicht ermöglicht hat.

Wenn man nach jetzigem Kenntnisstand davon ausgeht, dass das Arzneimittelrecycling zwar in überschaubaren Arzt-Patient-Verhältnissen im ländlichen Raum ohne allzu große Risiken für die Volksgesundheit ausnahmsweise noch toleriert werden, hierin aber kein bundesweites ModelI für alle Mediziner und Arztgruppen gesehen werden kann, bleibt das Auseinzeln die wahrscheinlich einzige realistisch zu verantwortende Einsparmöglichkeit für die niedergelassenen Ärzte. Dieser Modus sollte in der Diskussion daher verstärkte Aufmerksamkeit erfahren. Beachtet werden sollte bei der Errechnung der Vor- und Nachteile des Auseinzelns in jedem Fall aber auch, dass damit ein höherer Aufwand für die Apotheker, Pharmagroßhändler und Herstellerfirmen verbunden sein wird, der gegebenenfalls zu Preiserhöhungen führen könnte.

4. Fazit und Ausblick

Grundsätzlich lassen sich durch ein „Arzneimittelrecycling“, vor allen in Altenheimen und Hospizen, wo die Arzneimittelsicherheit durch das Pflegepersonal gewährleistet wird, Kosten für die GKV einsparen – ungeachtet der berufsständischen Spannungen zwischen Ärzten und Apothekern zu diesem Thema. Regelungsbedarf für den Krankenhaussektor besteht nicht, da in der stationären Versorgung Arzneimittel genau dosiert werden können. Im ambulanten Bereich, vor allem bei Gerontopatienten, fällt erheblicher „Arzneimittelmüll“ an. Zwar haben die Medien das Thema bereits begierig aufgegriffen, es fehlt aber noch an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung darüber, welche Bedenken gegen eine Änderung des § 43 AMG Berechtigung haben. Grundsätzlich lassen sich auch ambulant verordnete Arzneimittel „recyceln“, sofern das Verfallsdatum des Herstellers noch nicht überschritten und die Lagerungsvorschriften eingehalten wurden, was mit Ausnahme nicht steril verpackter Medikamente und besonders sensibler Patientengruppen (Schwestkranke, Frauen im gebährfähigen Alter, Kinder, Strafgefangene, gesetzlich Betreute, Insassen im Maßregelvollzug) im kontrollierten Modell auch durchaus erprobt und weiter erforscht werden könnte. Geeignet für einen solchen Feldversuch scheint insbesondere wiederum die Gruppe der Gerontopatienten (,,65 +“), weil deren allgemeines Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko im Gegensatz zu jüngeren Versicherten hierdurch nicht wesentlich gesteigert würde. Möglicherweise ergibt sich durch einen Fortgang der Untersuchungen zu dem Thema auch, dass es in erster Linie einer Regelung für Hausärzte und Gerontopatienten bedarf, weil vornehmlich bei diesen Arzt- und Patientengruppen ein „Recycling“ am wirtschaftlichsten erscheint. Vor diesem Hintergrund könnte eine Regelung für Altersheime und Hospize, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, bereits einen Großteil der Lösung bedeuten. Ein weiterer Ansatzpunkt zur Kosteneinsparung bei den Arzneimittelausgaben besteht im sog. Auseinzeln, wenn den Ärzten gestattet wird, stückzahlgenau zu verordnen und sie nicht länger auf die vorgefertigten Packungsgrößen NI, N2 und N3 zurückgreifen müssen. Auch für die Gruppe der Privatversicherten ließen sich die Gesundheitskosten auf diesem Weg reduzieren. Es liegt nun am Bundesgesundheitsministerium, einen Vorschlag zur Änderung von § 43 AMG und für weitere untergesetzliche Regelungen vorzulegen. Bislang steht ein Referentenentwurf noch nicht zur Diskussion. Begleitend sollte erwogen werden, eine gesundheitsökonomische Studie in Auftrag zu geben, welches Einsparpotential sich durch ein Arzneimittelrecycling im ambulanten Bereich tatsächlich realisieren lässt und wie groß demgegenüber die zu erwartenden Mehrkosten in den Arztpraxen, Apotheken und Aufsichtsbehörden für ein solches Recyclingsystem ausfallen. Ein gesetzlicher Schnellschuss verbietet sich, schon allein um das Vertrauen der Bevölkerung in das medizinische Versorgungssystem nicht zu gefährden, ganz abgesehen davon, dass eine verunglückte Regelung auf dem Umweg über das Haftungsrecht zu eher höheren als zu geringeren Ausgaben führen könnte. Selbst wenn die Ärzte es nur wohlmeinen: Ohne vorherige Änderung von § 43 AMG muss aufgrund des Strafverfolgungs- und Haftungsrisikos dringend davon abgeraten werden, sich am Arzneimittelrecycling ohne gesetzliche Grundlage zu beteiligen. Die bisherige Aufgabenverteilung zwischen Ärzten und Apothekern hat ihre Berechtigung nicht verloren.

Quellen und Anmerkungen

  • FAZ vom 28.07.2005 S.10: Kassen warnen vor steigenden Beiträgen, FAZ vom 30.07.2005 S.12: Ministerium sieht keinen Grund für höhere Krankenkassenbeiträge und FAZ vom 04.11.2005 S.13: Milliarden-Kürzungen bei Arzneimitteln.
  • Nicht zu verwechseln mit der Problematik des „Off-Lable-Use“ von Medikamenten; vgl. hierzu u.a. das BSG-Urteil vom 19.03.2002,Az. B 1 KR 37/00 R (AusR 2004,54).
  • Zahlenangabe laut Statistik der Bundesärztekammer zum 31.12.2005.
  • Dieser Schätzwert wurde in der Diskussion immer wieder genannt, so z.B. von Prof. Dr. Karl Lauterbach, MdB (SPD) in der ZDF-Sendung Frontal am 09.03.2004. Lauterbach kommt auf ein Einsparpotential von jährlich 2 Mrd. Euro, vgl. hierzu auch DIE WELT vom 21.05.2005 S.31. Der Verband der PKV schätzt demgegenüber den „Arzneimittelmüll“ lediglich auf 0,51 Mrd. Euro jährlich, vgl. PKV-Info: Aktiv gegen die Kostenspirale S. 5. Genaue Erhebungen scheinen daher nicht vorzuliegen.
  • Zahlenangabe laut Statistischem Bundesamt, siehe unter http://www.destatis.de.
  • AG Detmold, Az. 24 OWi 22 Js 778/00, Urteil vom 16.02.2001, MedR 2003,351-352 mit Anm. Riemer; siehe hierzu auch Rieger: Weitergabe angebrochener Medikamentenpackungen durch den Arzt an Patienten, DMW 2003, 630.
  • OLG Hamm,Beschluss vom 13.06.2001,Az. 5 Ss OWi 372/01.
  • OLG Hamm, Urteil vom 26.10.2000, Az. 4 U 11/00; vgl. die Besprechung von Becker-Berke in Gesundheit und Gesellschaft 2000, Heft 12, S. 58.
  • Siehe hierzu auch die WDR-Sendung Markt vom 23.05.2005.
  • Einer Forsa-Umfrage zufolge, die die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände in Auftrag gegeben und am 21.09.2004 veröffentlicht hat, sollen 49 % der Bevölkerung gegen ein Arzneimittelrecycling eingestellt und weitere 33 % nur bei vorherigen Untersuchung der Recyclingarzneien zu deren Einnahme bereit sein.
  • Koyuncu, Das Haftungsdreieck Pharmaunternehmen – Arzt – Patient, 2004. Zur Haftungsverteilung zwischen Klinik und ambulanten Nachbehandlern siehe Riemer: Wer haftet für Verordnungen aus dem Krankenhaus?, DMW 2005, 2160.
  • Zur Produkthaftung siehe Jenke, Haftung für fehlerhafte Arzneimittel und Medizinprodukte, 2004.
  • Mitursächlichkeit genügt, vgl. Martis/Winkhart: Arzthaftungsrecht aktuell, 2003, S.377.
  • Korioth, Was tun bei geburtshilflichen Schadensfällen?, 2004, S. 47 ff.
  • Quaas/Zuck, Medizinrecht, 2005, S. 238
  • Zur ähnlich gelagerten Problematik von Humanexperimenten an Kindern vgl. von Loewenich: Forschung an Kindern und die Novellierung des Arzneimittelgesetzes, Ethik Med 2004, 101-104; Pestalozza: Risiken und Nebenwirkungen – Die Klinische Prüfung von Arzneimitteln am Menschen nach der 12. AMG-Novelle, NJW 2004, S.3374 ff, 3378; Michael: Forschung an Minderjährigen – Verfassungsrechtliche Grenzen, 2004.
  • hierzu die ethischen Vorgaben der Deklaration von Helsinki/Tokyo des Weltärztebundes; Lippert: Die Deklaration von Helsinki ist tot – es lebe die Deklaration von Helsinki, MedR 2003, 681-683.
  • So auch Rieger a.a.O. und Wartensleben: Abgabe von Arzneimitteln durch Ärzte – Vorsicht Glatteis!, Der Hausarzt 2002, Heft 4, S.55-56.

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