Beschluss vom 23.05.2022 – 25 W 622/22

Der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt

Der Antragsteller ist bei einer privaten Krankenversicherung versichert. Aufgrund eines Prostatakarzinoms musste er im Jahr 2015 operiert werden und sich anschließend hyperthermisch behandeln lassen. Eine Übernahme der Kosten für eine Fortführung dieser Behandlung lehnte seine Krankenversicherung jedoch im Jahr 2020 ab. Daraufhin beantragte der Antragsteller im Wege des selbstständigen Beweisverfahrens ein schriftliches Sachverständigengutachten, um aufzuklären, ob seine Behandlungen nach medizinischen Befunden notwendig waren und ob diese zur Linderung seiner Krankheit geeignet sind. Sein Antrag wurde vom Landgericht abgewiesen, sodass er diesen bis zum Oberlandesgericht verfolgte.

Wesentliche Fragen

Das Oberlandesgericht entscheidet im vorliegenden Fall über zwei wesentliche Fragen:

  1. Ist ein selbstständiges Beweisverfahren gem. § 485 ZPO zur Feststellung über die Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung und eines Gesundheitszustandes zulässig?
  2. Fehlt das nach § 485 Abs. 2 ZPO notwendige rechtliche Interesse, weil die Feststellung der Notwendigkeit der medizinischen Behandlung bloß einen Ausschnitt der Fragen darstellt, die sich im Erkenntnisverfahren stellen würden?

Entscheidung des OLG

Das OLG hat entschieden, dass ein selbstständiges Beweisverfahren nach § 485 ZPO auch zur Feststellung über medizinisch notwendige Behandlungen und den Gesundheitszustand einer Person zulässig ist und das rechtliche Interesse nicht dadurch entfällt, dass diese Fragen bloß einen Ausschnitt der im Erkenntnisverfahren aufkommenden Streitfragen darstellen.

Begründung

Ein selbstständiges Beweisverfahren ist gem. § 485 Abs. 2 ZPO zulässig, wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse daran hat, dass der Zustand einer Person (Nr.1) oder der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens (Nr. 3) festgestellt wird. Ein solches rechtliches Interesse liegt nach § 485 Abs. 2 ZPO vor, wenn die Feststellung dieser Tatsachen dienen kann einen Rechtsstreit zu vermeiden. Der Sinn und Zweck dieser Vorschrift liegt in der Entlastung der Gerichte und Parteien und dient dazu eine zeit- und kostensparende Einigung zwischen den Parteien herbeizuführen.

Das OLG führt in seiner Entscheidung aus, dass die Gerichte im selbstständigen Beweisverfahren weder eine Schlüssigkeitsprüfung des Anspruchsvorbringens noch eine Erheblichkeitsprüfung der Beweise vorzunehmen haben. Im Umkehrschluss kann das rechtliche Interesse nur dann fehlen, wenn es offensichtlich ist, dass der behauptete Anspruch nicht besteht.

Des Weiteren soll ein rechtliches Interesse auch dann bestehen, wenn das Sachverständigengutachten nicht alle Streitfragen, die im Erkenntnisverfahren zwischen den Parteien aufkommen können, beantwortet. Grund hierfür ist, dass  dies in der Zulässigkeit des selbstständigen Beweisverfahrens keine Rolle spielt, da weder eine Schlüssigkeits- noch eine Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen ist.

Im Gegensatz zum Landgericht führt das OLG überdies aus, dass die beim Versicherten erhobenen medizinischen Befunde alle Zustände einer Person betreffen und nicht bloß die in der Gegenwart liegenden. Zudem wurde darüber gestritten, ob die Beweisfrage der medizinischen Notwendigkeit überhaupt Gegenstand des selbstständigen Beweisverfahrens sein könne, wenn die Kostenerstattungspflicht von mehreren Voraussetzungen abhängt. Das OLG argumentiert diesbezüglich, dass Gegenstand eines selbstständigen Beweisverfahrens auch eine Beweisfrage sein kann, die der juristischen und gutachterlichen Bewertung durch einen Sachverständigen bedarf. Das rechtliche Interesse entfällt somit nicht dadurch, dass im selbstständigen Beweisverfahren nicht auf alle beweisbedürftigen Tatsachen eingegangen wird.

Zum Volltext siehe https://openjur.de/u/2396981.html.

Rechtsanwalt Dr. Martin Riemer

Fachanwalt für Medizinrecht & Versicherungsrecht

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