Neuland- und Außenseitermethoden in medizinischen Behandlungsverhältnissen

Bei Neuland- und Außenseitermethoden besteht eine gesteigerte Aufklärungspflicht des behandelnden Arztes.

Grundsätzlich hat eine Behandlung gem. § 630a Abs. 2 BGB „nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards“ zu erfolgen, soweit „nicht etwas anderes vereinbart ist“.

Patienten sind von den behandelnden Ärzten folglich darüber in Kenntnis zu setzen, dass es sich gerade nicht um eine „anerkannten fachlichen Standards“ folgende Behandlung handelt und welche Risiken sich damit verbinden. In der sog. „Robodoc-Entscheidung“ (BGH, VI ZR 323/04, Urteil vom 13.6.2006) hat der Bundesgerichtshof hierzu festgehalten:

„Die Anwendung neuer Verfahren ist für den medizinischen Fortschritt zwar unerlässlich. Am Patienten dürfen sie aber nur dann angewandt werden, wenn diesem zuvor unmissverständlich verdeutlicht wurde, dass die neue Methode die Möglichkeit unbekannter Risiken birgt. Der Patient muss in die Lage versetzt werden, für sich sorgfältig abzuwägen, ob er sich nach der herkömmlichen Methode mit bekannten Risiken operieren lassen möchte oder nach der neuen Methode unter besonderer Berücksichtigung der in Aussicht gestellten Vorteile und der noch nicht in jeder Hinsicht bekannten Gefahren.“

Und weiter:

„Im Allgemeinen besteht eine Aufklärungspflicht nur dann, wenn ernsthafte Stimmen in der medizinischen Wissenschaft auf bestimmte mit einer Behandlung verbundene Gefahren hinweisen, die nicht lediglich als unbeachtliche Außenseitermeinungen abgetan werden können, sondern als gewichtige Warnungen angesehen werden müssen (…) Bei einer Neulandmethode können zum Schutz des Patienten je nach Lage des Falles strengere Anforderungen gelten. Auch hier ist allerdings nicht über bloße Vermutun- gen aufzuklären. Etwas anderes kann aber gelten, wenn diese sich so weit verdichtet haben, dass sie zum Schutz des Patienten in dessen Entscheidungsfindung einbezogen werden sollten.“

In einer weiteren Entscheidung (BGH, VI ZR 203/15, Urteil vom 30.5.2017) hat der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung ausgebaut:

  1. Die Entscheidung des Arztes für die Wahl einer nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode (hier: ganzheitliche Zahnmedizin) setzt eine sorgfältige und gewissenhafte medizinische Abwägung von Vor- und Nachteilen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und des Wohls des konkreten Patienten voraus.
  2. Bei dieser Abwägung dürfen auch die Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten der Schulmedizin nicht aus dem Blick verloren werden.
  3. Je schwerer und radikaler der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten ist, desto höher sind die Anforderungen an die medizinische Vertretbarkeit der gewählten Behandlungsmethode.

Der Bundesgerichtshof verlangt also, dass den Patienten bei Neuland- und Außenseitermethoden alle Aspekte der möglichen, aber (noch) nicht anerkannten Behandlungsform vorgestellt werden (gesteigerte Aufklärungspflichten), damit diese sodann selber entscheiden können, ob sie sich darauf einlassen möchten oder nicht. Zur Beurteilung, ob die Aufklärung des Patienten diesen Anforderungen entsprach, ist im Arzthaftungsprozess ein „besonders spezialisierter Sachverständiger“ erforderlich.

Selbstverständlich gehört auch dazu, dass diese gesteigerten Aufklärungspflichten dann eine entsprechend umfassende Dokumentation der Aufklärung bedürfen, um diese im Streitfall beweisen so können. Andernfalls können gem. § 630h Abs. 3 BGB Beweiserleichterungen wegen Dokumentationsversäumnissen zugunsten der Patienten eingreifen.

 

 

 

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