Darf ein Rechtsanwalt die Privatadresse eines Richters an Mandanten weitergeben?

Vorab: Ja, er darf. Unfaire Verhandlungsführung Die Generalstaatsanwaltschaft Köln hatte in einem sog. Selbstreinigungsverfahren gem. § 123 BRAO darüber zu entscheiden, ob es berufsrechtlichen Bedenken begegnet, wenn ein Rechtsanwalt nach einer konflikthaften Gerichtsverhandlung seinem Mandanten nach Abschluss des Rechtsstreits die Adresse des „häuslichen Arbeitszimmers“ des Richters übermittelt, mit der Anregung, diesem einen „höflichen Protestbrief“ zukommen […]

Amtshaftungsansprüche bei nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellten Kinderbetreuungsplätzen

Welche Rechte stehen Eltern zu, wenn nach rechtzeitiger Anmeldung des Kindes für einen Betreuungsplatz kein Platz von der zuständigen Stelle zur Verfügung gestellt wird? Der Bundesgerichtshof hatte hierüber im Urteil vom 20. Oktober 2016 – III ZR 278/15 – zu entscheiden.

Beantragung des Betreuungsplatzes

Ab der Vollendung des ersten Lebensjahres, kann bei der Stadt Bedarf nach einem Betreuungsplatz für das eigene Kind angemeldet werden. Dieser Antrag muss rechtzeitig gestellt werden, sodass dem Amt Zeit für die Einrichtung bleibt.

Verdienstausfallschaden 

Welche Möglichkeiten stehen Eltern zu, wenn sie einen Verdienstausfall erleiden, da die Stadt ihnen trotz rechtzeitigem Antrag keinen Platz für das Kind zugewiesen hat?

Der Anspruch des Kindes ergibt sich aus § 24 Abs. 2 SGB VIII. Danach ist das Amt verpflichtet, dem anspruchsberechtigten Kind einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen, sofern ein rechtzeitiger Antrag eingeht.

Dabei ist die Stadt auch verpflichtet, ausreichend Plätze zu schaffen oder andere Möglichkeiten der Betreuung des Kindes bereitzustellen. Eine qualifizierte Betreuungsmöglichkeit muss den Eltern im Ergebnis gewährleistet werden können. Eine Berufung auf fehlende Kapazitäten ist somit unzulässig, da für jedes Kind ein Platz bereitgestellt werden muss.

Verdienstausfallschäden der Eltern wegen fehlender Betreuungsplätze sind vom Schutzbereich des § 24 Abs. 2 SGB VIII erfasst. Den Eltern soll die Möglichkeit gegeben werden, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder fortzuführen, da auch dies im Sinne des Kindeswohls steht. Dieser Grundsatz ist auch in § 22 Abs. 2 SGB VIII verankert, der sich mit den Förderungsgrundsätzen befasst. Verstöße hierbei werden als Amtspflichtverletzung angesehen.

Amtshaftungsanspruch

Den betroffenen Eltern steht in solchen Fällen ein Amtshaftungsanspruch, aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu. Sie können den Verdienstausfallschaden, den sie durch die Amtspflichtverletzung erlitten haben, von der Kommune ersetzt verlangen.

Die Stadt muss für ausreichende Betreuungsplätze vorbehaltlos sorgen und kann auch keine finanziellen Gründe als Rechtfertigung nennen.

Es besteht somit ein Schadensersatzanspruch gegen den Staat oder der von ihm beauftragten Stelle.

Stand: 01.03.2017

Strategisch gute Praxisführung in ärztlichen Kooperationen

Themen wie Gesellschaftervertrag, Mietvertrag, Arbeitsverträge, Gewinnverteilung und steuerliches Kapitalkonto gehören zu den regelmäßigen Fragen, um die sich die Mitglieder ärztlicher Berufsausübungsgemeinschaften von Zeit zu Zeit kümmern sollten, da diese einige Unsicherheiten bieten können.

Die Erfahrung zeigt, dass Ärzte und Zahnärzte ihren Gesellschaftsvertrag, den sie zuweilen – nach dem Erwerb vom Praxisanteilen – von Vorgängern übernommen haben, nicht vollständig verstehen, auch die übrigen Vertragsverhältnisse zur Ausübung ihrer Berufstätigkeit nicht, und sich über alternative Lösungsmöglichkeiten für die Gewinnverteilung oftmals nicht bewusst sind.

1. Lassen Sie Ihren Gesellschaftervertrag von Zeit zu Zeit prüfen

Nicht selten kommt es vor, dass die Mitglieder eine Gemeinschaftspraxis diese ursprüngliche gar nicht selber begründet, sondern ihre heutigen Gesellschaftsanteile von vormaligen Ärzten/Zahnärzten übernommen haben. Gerade in zulassungsgesperrten Gebieten ist es üblich, sich in Arztpraxen „einzukaufen“, wenn ein Kollege aus Altersgründen in Ruhestand gehen möchte.

Teilweise existieren auf diesem Weg noch Gesellschaftsverträge aus den 80er-Jahren fort, die unter damals sehr anderen Verhältnissen formuliert wurden, z.B. eine 3er-Praxis, die heute nur noch von zwei Ärzten fortgeführt wird. Dieser ursprüngliche Gesellschaftsvertrag mag noch eine Klausel enthalten haben, welche „die Fortführung der Gemeinschaftspraxis“ bei Ausscheiden eines seiner Mitglieder vorsieht und dem „ausscheidenden Mitglied“ einen Abfindungsanspruch gegen die „verbliebene Gesellschaft“ zuspricht.

Diese Klausel setzt jedoch voraus, dass auch eine BGB-Gesellschaft fortgesetzt wird, gegen die sich ein solcher Anspruch richten kann: Bleibt jedoch nur noch ein Arzt zurück, kann dieser nicht mit sich selber eine BGB-Gesellschaft begründen.

Der Streit darüber, wie bei altersbedingtem Ausscheiden eines Arztes aus einer solchen Gemeinschaftspraxis zu verfahren ist, lässt sich im Vorfeld durch eine Anpassung des Gesellschaftsvertrages an die geänderten Umstände vermeiden.

Auch nachvertragliche Wettbewerbsklauseln sind ohne Zahlung einer Ausgleichsleistung inzwischen unwirksam.

2. Lassen Sie Ihren Mietvertrag von Zeit zu Zeit prüfen

Ebenso alt wie die Gesellschaftsverträge sind zuweilen auch die Mietverträge, wenn diese z.B. auf eine Dauer von 20 Jahren fortgesetzt wurden, immer wieder durch fortgesetzte Verlängerungsoptionen oder stillschweigende Verlängerungen von Jahr zu Jahr.

Die Gesetzeslage und Rechtsprechung hat sich nicht nur bezüglich der Renovierungsklauseln seitdem erheblich geändert, sondern auch die tatsächlichen Mieterverhältnisse könnten inzwischen an die geänderten Gesellschafterverhältnisse anzupassen sein. Andernfalls wird das Mietverhältnis ggf. nur noch durch einen der Ärzte fortgesetzt, wohingegen der Sozius als im Innenverhältnis gleichberechtigter Gesellschafter nach außen zum Vermieter vertraglich nicht berechtigt ist, sondern die Räume quasi nur als „Untermieter“ seines Kollegen mitnutzt. Bei einem Streit der Ärzte untereinander mag dies zu Problemen führen: Der nicht am Mietvertrag beteiligte Gesellschafter mag befürchten, dass er „vor die Türe gesetzt“ werden könnte. Oder der freiwillig aus einer Gemeinschaftspraxis ausscheidene Arzt bleibt gleichwohl im Verhältnis zum Vermieter weiterhin Gesamtschuldner für den Mietzins.

3. Lassen Sie die Arbeitsverträge mit Ihren Mitarbeitern von Zeit zu Zeit prüfen

Manch langgediente Arzt-/Zahnarzthelferinnen werden noch immer auf Basis schriftlicher Arbeitsverträge beschäftigt, die weder im Hinblick auf Lohn- und Urlaubsansprüche die tatsächlich gelebten Arbeitsverhältnisse zutreffend reflektieren.

Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat sich als teils revolutionärer Motor für das deutsche Arbeitsrecht erwiesen, welches breitflächig traditionell weiniger vom Gesetzgeber, sondern vielmehr von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geprägt wird.

Der seit dem 1.1.2015 in Kraft getretene gesetzliche Mindestlohn wird von allen ärztlichen Arbeitgebern wohl gezahlt. Manch vormals befristete Arbeitsverhältnisse oder frühere Ausbildungsverhältnisse mögen jedoch stillschweigend über den Beendigungszeitpunkt hinaus fortgesetzt worden sein, so dass sich die Frage stellt, ob es eine den Anforderungen des Nachweisgesetzes genügende schriftliche Aufzeichnung der wesentlichen Vertragsbedingungen gibt.

4. Prüfen Sie von Zeit zu Zeit den Modus der Gewinnverteilung

Streit unter beruflich zusammengeschlossenen Freiberuflern entsteht vor allem wegen der Verteilung der erwirtschafteten Gewinne. Sind an einer Gemeinschaftspraxis drei Ärzte zu gleichen Teilen beteiligt, tragen sie zu gleichen Teilen auch deren Kosten und teilen die Gewinne gleichmäßig auf. Arbeiten dann jedoch nicht alle in gleichem Umfang, entsteht eine Schieflage, die sich durch flexible Klauseln in der Gewinnverteilung kompensieren lässt, bevor anhaltende Unzufriedenheit zum Auseinanderbrechen der Praxis führt. Auch spezielle Fortbildungen in Teilbereichen, die zu Ertragssteigerungen führen, können auf diesem Weg honoriert werden. Ebenso kann damit der Unterschied Berücksichtigung finden, dass an einem auswärtigen Zweitsitz der Gemeinschaftspraxis nicht alle Mitglieder gleich häufig arbeiten. Ein Modell für eine 3er-Praxis, an der die drei Ärzte zu gleichen Teilen beteiligt sind, könnte z.B. wie folgt aussehen:

  • Als Vorabgewinn erhält jeder Gesellschafter unabhängig von seiner schlussendlichen Beteiligungshöhe einen festen Gewinnanteil, z.B. 1/6. Diese Tätigkeitsvergütung ist sozusagen die Entlohnung für seine „Mitgliedschaft“ in der Berufsausübungsgemeinschaft und sichert seinen Lebensunterhalt.
    Lediglich der nach Abzug dieser Vorabgewinne verbleibende Restbetrag wird leistungsabhängig zugewiesen.
    Dieses Modell eignet sich auch dann, wenn nicht alle Ärzte zu gleichen Teilen an der Gesellschaft beteiligt sind oder ein jüngerer Arzt hinzugenommen werden soll.)

Der verbleibende Restgewinn kann entweder leistungsabhängig oder nach einem Senioritätsmodell verteilt werden.

Leistungsabhängige Gewinnverteilungen lassen oftmals einen „Kampf um Privatpatienten“ ausbrechen, wohingegen Senioritätsklauseln den Beigeschmack haben, dass die älteren und weniger engagierten Ärzte von der Leistung ihrer jüngeren Kollegen überproportional profitieren. Eine leistungsabhängige Gewinnverteilung hat auch zu berücksichtigen, ob einzelne Gesellschafter der Gemeinschaftspraxis „den Rücken frei halten“ (z.B. erwirtschaftet der konservativ behandelnde Orthopäde weniger als sein operativ tätiger Kollege, rundet aber das Gesamtbild der Praxis ab).

  • Am stabilsten haben sich daher „Mischmodelle“ erwiesen, welche die individuellen Besonderheiten der Gesellschafter passgenau abbilden und von Zeit zu Zeit eine Anpassung erfahren, ohne den Gesellschaftsvertrag in seinen Grundfesten anzutasten.
  • Um die Gemeinschaftspraxis insgesamt möglichst weit voran zu bringen, sollten leistungsabhängige Gewinnverteilungsmaßstäbe nicht fehlen: Je mehr „alle reinhauen“, je mehr sie dazu motiviert sind, desto mehr gibt es am Ende zu verteilen.

5. Prüfen Sie am Jahresende die Kapitalkonten nach

Ein „Kapitalkonto“ ist nicht gleich „Bankkonto“, sondern eine buchhalterische Rechengröße. Das darin enthaltene „Buchkapital“ ist die Summe der Vermögenswerte (Anlagevermögen, Bankkonten) abzüglich aller Verbindlichkeiten (z.B. Bankdarlehen). Es spiegelt somit nur den steuerlichen, nicht aber den wirtschaftlichen Wert einer Arztpraxis wieder (der auch durch den Goodwill gebildet wird), sozusagen das „steuerliche Nettovermögen“.

Wenn für jeden Gesellschafter ein eigenes Kapitalkonto geführt wird, entspricht die Summe dieser Konten dem steuerlichen Kapital der Praxis.

Außerordentliche Gewinnentnahmen oder Einlagen, um die Liquidität der Praxis zu sichern, verändern die Kapitalkonten.

Eine Schieflage entsteht am Jahresende dann, wenn die Kapitalkonten im Verhältnis zueinander nicht mehr den Gesellschaftsverhältnissen entsprechen. Erreicht das Kapitalkonto eines Gesellschafters am Jahresende nicht die Höhe seiner Vermögensbeteiligung, so hat er offenbar eine zu hohe Privatentnahme getätigt und muss an die Gesellschaft zurückzahlen. Andernfalls, setzt sich diese Schieflage über Jahre unerkannt fort, könnte beim Praxisverkauf Streit über die Verteilung des Kaufpreises entstehen.

Stand: 07.11.2016

Berufsunfähigkeit – das Problem der Nachweisbarkeit bei psychischer Erkrankung

Berufsunfähigkeit ist keine Seltenheit und immer mehr Menschen wollen sich dagegen schützen. Bei Fällen wie einer Querschnittslähmung ist der Fall unproblematisch, aber was ist mit psychischen Erkrankungen? Psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Psychosen sind längst wissenschaftlich anerkannt, doch trotzdem scheint es schwer, diese als ausreichenden Grund einer Berufsunfähigkeit einzubringen. Wie kann das sein?

Der ausschlaggebende Zeitpunkt für den Eintritt der Berufsunfähigkeit ist der, ab welchem der Betroffene nicht mehr in der Lage ist seinen Beruf weiter auszuüben. Das bedeutet, dass ein Arzt nachweisen muss, dass der Betroffene in den nächsten 6 Monaten nur noch höchstens die Hälfte seiner bis jetzt ausgeübten Tätigkeit ausführen kann. Doch dieser Nachweis ist bei psychischen Störungen schwer vorzubringen, da die Bewertung des Krankheitsbildes komplexer und schwieriger ist als bei körperlichen Verletzungen. Es fehlt einfach an objektiven Fakten und damit an der der physiologischen Nachvollziehbarkeit, wenn sich die Messergebnisse auf die Angaben des Betroffenen und der Beobachtung seines Verhaltens basieren. Diese subjektiven Einschätzungen können Zweifel offenlassen und bieten dadurch eine große Angriffsfläche.

Der Fall – OLG Bremen, Urteil vom 25.6.2010 (3 U 60/09)

In einer solchen Situation befand sich ein klagender Justizvollzugsbeamter: Während einer körperlichen Auseinandersetzung mit einem Häftling zog er sich blutende Wunden zu. Der Kläger befürchtete, sich mit dem HIV-Virus infiziert zu haben und war fürs erste krankgeschrieben. Der Vorfall hatte ihn so sehr belastet, dass er in eine schwere Depression fiel und unter posttraumatischen Belastungsstörungen litt. Dies hatte zur Folge, dass er nicht weiterarbeiten konnte und die Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente beantragte.

Der Sachverständige diagnostiziert bei dem Kläger keine posttraumatische Belastungsstörung, sondern vielmehr ein ausgeprägtes phobisches Angstsyndrom. Es handle sich um eine Angsterkrankung, die chronisch werden kann, wenn der Kläger sich weiter auf seine Angst konzentriert. Er führt weiter aus, dass der Kläger somit seinen Beruf als Justizvollzugsbeamter nicht weiter ausüben kann, insbesondere weil bei seiner Tätigkeit ausgeprägten Panikattacken und Angstzuständen nicht auszuschließen sind. Seiner Meinung nach liegen außerdem klare Hinweise dafür vor, dass die psychischen Beeinträchtigungen des Klägers im zeitlichen Zusammenhang mit dem Vorfall stehen.

Die Beschwerdeschilderung und Symptombildung ist typisch und charakteristisch für ein phobisches Angstsyndrom.

Der Senat hält die Ausführungen des Sachverständigen für nachvollziehbar und überzeugend.

Der Beklagte weist auf die vermeintlich schwammigen Formulierungen im Gutachten des Sachverständigen hin, das eine Berufsunfähigkeit nicht nachweisen lässt. Doch der Senat ist davon sichtlich unbeeindruckt und verlässt sich auf die Diagnose des Sachverständigen, insbesondere da dieser nicht nur von Wahrscheinlichkeiten redet, sondern überzeugt von der Erkrankung des Klägers ist.

Fazit

Nach der Rechtsprechung des BGH können psychisch Erkrankte also aufatmen: Die Diagnose eines Arztes basierend auf der Schilderung der Beschwerden des Klägers kann ausreichen. Damit sind psychiatrische Erkrankungen wie z.B. Depressionen bei überzeugender Begründung Grund genug für eine Berufsunfähigkeit, obwohl sie nicht objektivierbar sind.

Stand: 13.09.2016

Landgericht Köln stärkt Minderjährigenschutz nach Verkehrsunfällen

Das Landgericht Köln hat im Berufungsurteil 13 S 129/15 vom 13.1.2016 unter Vorsitz seines Präsidenten Ketterle den Schutz Minderjähriger nach Verkehrsunfällen gestärkt.

Was war passiert ?

Ein 15-jähriger Realschüler der 9.Klasse lief nach Schulschluss um die Mittagszeit zur Bushaltestelle, um mit dem Schulbus nach Hause zu fahren. Auf diesem Weg wurde er an einer Fußgängerampel von einem BMW gestreift, an dem ca. 1.500,- € Sachschaden entsteht. Der BMW-Fahrer behauptete gegenüber der eintreffenden Polizei, er habe grün gehabt. Der Schüler räumte gegenüber der Polizei auf Befragen ein, dass er nicht auf die Ampel geachtet habe, da er schnell zu seinem Bus auf der anderen Straßenseite gelangen wollte.

Die Polizeibeamten hielten diese Aussage so im Unfallprotokoll fest und notiert darin den 15-jährigen als Unfallverursacher. Der BMW-Fahrer klagte sodann beim Amtsgericht Brühl seinen Kfz-Schaden gegen den Schüler gestützt auf diese polizeiliche Protokollierung ein. Das Amtsgericht vernahm die Polizeibeamten in der mündlichen Verhandlung zu der Aussage des 15-jährigen am Unfallort und gab der Klage statt (AG Brühl, Urteil vom 11.6.2015 – 21 C 140/14). Ein Beweisverwertungsverbot sah das Amtsgericht zu den Aussagen des Schülers nicht. Das Landgericht Köln hob das erstinstanzliche Urteil auf und weist die Klage ab.

Warum?

Es geht um den Minderjährigenschutz bei der polizeilichen Vernehmung nach einem Verkehrsunfall. Aus den Ausführungen von Urteilsseite 3 des Berufungsurteils lassen sich folgende Rechtssätze entnehmen:

  1. Soll ein 15-jähriger Minderjähriger von der Polizei nach einem Verkehrsunfall als Unfallverursacher vernommen werden, ist zur späteren Verwertbarkeit seiner Aussage zumindest erforderlich, dass er zuvor von den Polizeibeamten gem. § 67 JGG auch darüber belehrt wird, dass er vor einer Aussage das Recht habt, seine Personensorgeberechtigten zu kontaktieren.
  2. Diese gesetzliche Regelung beruht auf der kriminologisch gesicherten Erkenntnis, dass jugendliche Beschuldigte gegenüber Erwachsenen eine deutlich höhere „Geständnisfreudigkeit“ aufweisen, also in geringerem Umfang in der Lage sind, auch bei ansonsten korrekter Belehrung über das Schweigerecht von ihrer Aussagefreiheit dahingehend Gebrauch zu machen, auf Angaben zur Sache möglicherweise zu verzichten.
  3. Unterbleibt eine solche Belehrung im Ordnungswidrigkeitenverfahren, führt dies auch zu einem Beweisverwertungsverbot im Zivilprozess.

Diesen Fehler hatten die Polizeibeamten nämlich begangen, was auch auf den Schadensersatzprozess durchschlug. Der 15-jährige hatte noch nicht einmal das Mindestalter des § 455 Abs.2 ZPO von 16 Jahren erreicht, ab dem Minderjährige selber im Rahmen einer Parteivernehmung zu dem Unfallhergang vernommen werden konnten.

Das Landgericht brauchte zwar nicht zu entscheiden, ob diese Vorschrift im vorliegenden Fall eine Sperrwirkung für die Verwertung der Angaben des Schülers gegenüber der Polizei entfaltete; es hat aus § 455 Abs.2 ZPO jedoch eine „Interessenabwägung“ hergeleitet: Da der 15-jährige von der Polizei nicht einmal darüber belehrt worden war, dass er vor einer Aussage das Recht habe, seine (alleinerziehende) Mutter zu kontaktieren, ist seine vom Amtsgericht als Schuldeingeständnis gewertete Einlassung gegenüber der Polizei nicht verwertbar gewesen.

Da es weitere Zeugen zugunsten des BMW-Fahrer nicht gab, stand im Prozess Aussage gegen Aussage und wurde die Klage wegen Beweisfälligkeit des Klägers („non licet“) somit abgewiesen.

Der Amtsrichter ist ziemlich restriktiv an das Verfahren herangegangen. Zunächst hat er dem 15-jährigen Beklagten sogar Prozesskostenhilfe verwehrt (AG Brühl, Beschluss vom 19.3.2015 – 21 C 140/14). Das Landgericht Köln hatte diese Entscheidung zuvor jedoch bereits aufgehoben und dem PKH-Antrag stattgegeben (LG Köln, Beschluss vom 16.4.2015 – 13 T 25/15). Dies muss den Amtsrichter wohl „verstimmt“ haben. Denn die Basis der erstinstanzlichen Verurteilung war doch schon recht dünn.

Solche Vorgänge (Verkehrsunfälle mit Minderjährigen; diese äußern sich sodann spontan gegenüber der Polizei) können immer wieder vorkommen. Das Landgericht Köln räumt ein für alles mal damit auf, dass die Polizei solche „Geständnis“ überhaupt verwerten darf, wenn vorher nicht die Eltern zugezogen wurden.

Stand: 28.01.2016