Bundesgerichtshof entscheidet am 15.6.2021 über Datenauskunftsanspruch gem. Art. 15 DSGVO

Das Bundesarbeitsgericht (Az. 2 AZR 342/20) hat am 27.4.2021 für die Arbeitsgerichtsbarkeit über den Datenauskunftsanspruch eines ausgeschiedenen Arbeitnehmers gem. Art. 15 Abs. 3 DS-GVO gegen seinen Arbeitgeber entschieden.

Nach mündlicher Verhandlung vom 20.4.2021 hat nun auch der Bundesgerichtshof (Az. IV ZR 576/19) für den 15.6.2021 ein Revisionsurteil über den Datenauskunftsanspruch eines Versicherungsnehmers gegen eine Lebensversicherung angekündigt.

In beiden Fällen geht es letztlich um das „Recht auf Kopie“ aus Art. 15 Abs. 3 DS-GVO. Anders als das Bundesarbeitsgericht, welches die Revision zurückwies, da es den Klageantrag des Arbeitnehmers bereits als nicht hinreichend bestimmt erachtete und sich damit um eine Entscheidung zur materiellen Reichweite des Datenauskunftsanspruchs „herumdrückte“, wird der Bundesgerichtshof in der Sache entscheiden, da es gegen die Bestimmtheit der Klageanträge laut vorläufiger Einschätzung in der Revisionsverhandlung keine Bedenken hatte.

Entscheidend – so der BGH – für die Beurteilung des Anspruchs aus Art. 15 Abs. 3 DS-GVO komme es auf die Defition des Begriffs der „personenbezogenen Daten“ in Art. 4 Nr. 1 DS-GVO an. Der Bundesgerichtshof ließ dazu durchblicken, dass er das Berufungsurteil des LG Köln, 26 S 13/18, vom 19.6.2019 aufheben wird, da das Landgericht diesen Rechtsbegriff falsch angewandt und den Auskunftsanspruch daher rechtsfehlerhaft verkürzt habe.

Für die Auslegung des Begriffs der „personenbezogenen Daten“ sei – so der BGH – auf den Wortlaut in Art. 4 Nr. 1 DS-GVO auszugehen. Der Verordnungsgeber der Datenschutz-Grundverordnung habe mit dieser Legaldefinition einen weit gefassten Schutzbereich für Betroffene eröffnen wollen, was sich auch auf den Auskunftsanspruch gem. Art. 15 Abs. 1 und 3 DS-GVO erstrecke.

Ebenso wie das BAG hat auch der BGH eine Anrufung des EuGH gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht für erforderlich angesehen, so sehr man sich auch eine richtungsweisende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu diesem in Rechtssprechung und Literatur viel diskutierten Punkt, wie weit der Datenauskunftsanspruch reicht, wünschen mag.

Die beiden Streitsachverhalte sind in unterschiedlichen Kontexten entstanden: Während das Bundesarbeitsgericht über eine Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgericht Niedersachsens, Az. 9 Sa 608/19, vom 9.6.2020 zu entscheiden hatte, im Verhältnis zu einem Arbeitgeber, geht es im Zivilprozess vor dem BGH im Ausgangsstreit um eine Versicherungsverhältnis.

Arbeitnehmer versuchen den Datenauskunfts-Anspruch nicht selten zu missbräuchlichen Zwecken zu verwenden. Zahlt der Arbeitgeber im Beendigungsfall die gewünschte Abfindung nicht, wird versucht, über einen ergänzenden Auskunftsanspruch im Kündigungsschutzprozess Druck auf ihn auszuüben: Entweder du zahlst, oder ich bereite dir mit dem Auskunftsverlangen einen immensen Suchaufwand, um diesen vollständig zu erfüllen. Dass diesem Vorgehen die Missbräuchlichkeit auf die Stirn tätowiert steht, liegt an sich auf der Hand, was das Bundesarbeitsgericht wohl jedoch so direkt nicht sagen wollte und einer inhaltlichen (materiell-rechtlichen) Klärung daher ausgewichen ist: Andernfalls wäre es nach den jüngsten Ermahnungen durch das Bundesverfassungsgericht (Az. 1 BvR 2853/19)  im Beschluss vom 14.1.2021 um eine Vorlage an den EuGH kaum herumgekommen.

Anders hingegen verhält es sich mit dem Datenauskunftsanspruch im Verhältnis gegenüber Versicherungen. Dort sind die „personenbezogenen Daten“ der Versicherungsnehmer und versicherten Personen in Vertrags- und Leistungsakten komprimiert zusammengasst. Die Versicherungen führen heute nahezu ausschließlich nur noch E-Akten. Sie brauchen somit in ihren elektronischen Dokumentenmanagementsystemen nur zu schauen, welche Daten sie zu diesen Aktennummern gespeichert haben, diese auf CD-Rom zu kopieren (Kosten: ca. 1 €) und der betroffenen Person zu übersenden. Ein „unverhältnismäßiger Arbeitsaufwand“ verbindet sich damit nicht.

Soweit Versicherungsgesellschaften dagegen einwenden, dieses Vorgehen bedeute, dass sie „ausgeforscht“ würden, wird dieser gerne ins Feld geführte pauschale Einwand nicht durchdringen. Zwar ist es richtig, dass nach der Systematik der Datenschutz-Grundverordnung die Rechte aus Art. 15 Abs. 3 DS-GVO vorrangig den weiteren Rechten aus Art. 16  (Berichtigung), Art. 17 (Löschung) und Art. 18 (Einschränkung der Verarbeitung) dienen sollen. Aber eben nicht ausschließlich, wie der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln bereits wiederholt entschieden hat, vgl. OLG Köln, Beschluss 20 W 10/18, vom 3.9.2019 und 20 W 9/19 vom 6.2.2020: Dort wurde jeweils im Rahmen der Streitwertfestsetzung auf pauschal 5.000 € zugrunde gelegt, dass das Datenauskunftsanspruch auch „wirtschaftlichen Interessen“ dienen darf, sprich: Anderen als jenen der Art. 16 – 18 Ds-GVO.

Der 9. Zivilsenat hat sich dem im Beschluss OLG Köln, 9 W 34/20, vom 12.11.2020 grundsätzlich angeschlossen und damit seine frühere Rechtsprechung aus dem Urteil OLG Köln 9 U 120/17 vom 5.2.2018, noch aus der Zeit vor Inkrafttreten der DSGVO zum 25.5.2018, insoweit aufgegeben.

Vieles ist in der Rechtsprechung der unteren Instanzen jedoch noch ungeklärt; daher erscheint eine richtungsweisende Entscheidung des Bundesgerichtshofs, sogar besser noch des Europäischen Gerichtshofs, dem schlussendlich das letzte Wort zukommen wird, nunmehr auch wünschenswert.

Vielleicht nicht explizit, so aber doch indirekt, wird der BGH am 15.6.2021 auch dazu Stellung nehmen, was Versicherungsgesellschaften bislang vehement ablehnen, ob das „Recht auf Kopie“ aus Art. 15 Abs. 3 DS-GVO nun auch eine Art pre-trial-discovery nach US-amerikanischem Vorbild bedeutet. Die Zivilprozesslehre lehnt dieses Institut bislang überwiegend ab; gerade im Verhältnis zu Großkonzernen kann die discovery jedoch zur „prozessuale Waffengleichheit“ für Verbraucher gewiss dienlich sein.

Nachdem die Rechtsprechung irgendwann die Reichweite des Anspruchs aus Art. 15 Abs. 3 i.V.m. Art. 4 Nr. 1 und 6 DS-GVO geklärt hat, werden sich die Stretigkeiten freilich nicht vollständig erledigen, sondern auf die Gegenrechte der verantwortlichen Stelle und Dritter aus Art. 15 Abs. 4 DS-GVO verlangern.

Aber dieses ist eine andere Geschichte, die ein anderes Mal erzählt weden soll.

Stand: 28.04.2021

Bankkunden kommen Dank DS-GVO nun einfach und kostenlos an Uralt-Kontoauszüge

Kontoauszüge – Die im besten Falle abgehefteten aber meist dann doch irgendwo rumfliegenden schmalen Zettel, oder ungelesen im Onlinebanking schlummernden Dokumente sind meist nicht verfügbar, wenn man sie gerade braucht. Ob unter Zettelbergen verschollen oder aus dem Online-Postfach gelöscht, nie hat man gerade den richtigen zur Hand.

Zweitschriften von Kontoauszügen kostenpflichtig

Wie praktisch, dass Sparkassen und Banken Kontoauszüge zehn Jahre lang aufbewahren müssen. Wer jetzt denkt, die Kreditinstitute würden diese einfach erneut zu Verfügung stellen, der irrt. Dieser Mehraufwand für die Banken und Sparkassen ist für Kunden kostenpflichtig und nicht gerade günstig. Die Preise variieren je nach Zahlungsdienstleister zwischen 7,50 € pro ausgedrucktem Quartal oder 5,00 € pro Auszug bis hin zu 3,00 € pro Blatt.

Datenauskunft macht Zweitschriften kostenfrei

Dank der Datenschutz-Grundverordnung kann der Bankkunde diese Informationen nach einem Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 30.07.2020 (Az.: 118 C 315/19) jedoch auch durch Geltendmachung eines Datenauskunftsanspruchs erhalten. Die erstmalige Erteilung einer solchen Datenauskunft ist kostenfrei.

Nach diesem Urteil fallen nämlich auch sämtliche Bankbewegungen, die auf dem Konto stattgefunden haben, unter die „personenbezogenen Daten“ i.S.v. Art. 4 Nr. 1 DS-GVO, bezüglich derer der Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 3 DS-GVO besteht. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Bank die Kontoauszugsdaten bereits schriftlich oder digital monatlich zur Verfügung gestellt hat. Darin liegt laut der gerichtlichen Entscheidung nur die Erfüllung einer Pflicht, die sich aus dem Vertrag der Bank mit ihren Kunden ergibt, jedoch keine Datenauskunft i.S.v. Art. 15 DS-GVO.

Mit einer Auskunft, die lediglich die Stammdaten, wie Name, Adresse usw. des Kunden beinhaltet, braucht sich dieser nicht abspeisen zu lassen, denn auch die Bankbewegungen sind nach Auffassung des Gerichts „sachliche Informationen im Hinblick auf die Eigentums- und Vermögensverhältnisse des Betroffenen“ und müssen daher auch Inhalt der Auskunft sein.

 

Die wichtigsten Aussagen des Urteils:

  • Ein Bankkunde hat gem. Art. 15 DS-GVO gegen die Bank einen Anspruch auf Datenauskunft, der sich auch auf die Bankbewegungen zu seinem Girokonto erstreckt.
  • Der Begriff der „personenbezogenen Daten“ nach Art. 4 DS-GVO ist weit gefasst und umfasst nach der Legaldefinition in Art. 4 Nr. 1 DS-GVO alle Informationen, die sich auf eine identifizierbare natürliche Person beziehen.
  • Unter die Vorschrift fallen damit sowohl im Kontext verwendete persönliche Informationen wie Identifikationsmerkmale (z.B. Name, Anschrift und Geburtsdatum), äußere Merkmale (wie Geschlecht, Augenfarbe, Größe und Gewicht) oder innere Zustände (z.B. Meinungen, Motive, Wünsche, Überzeugungen und Werturteile), als auch sachliche Informationen wie etwa Vermögens- und Eigentumsverhältnisse, Kommunikations- und Vertragsbeziehungen und alle sonstigen Beziehungen der betroffenen Person zu Dritten und ihrer Umwelt.
  • Auch solche Aussagen, die eine subjektive und/oder objektive Einschätzung zu einer identifizierten oder identifizierbaren Person liefern, weisen einen Personenbezug auf.
  • Der Auskunftsanspruch erfasst in Ansehung dieser Grundsätze mehr als nur die „Stammdaten“.
  • Dieser extensiven Ansicht zufolge sind daher z.B. einem Arbeitnehmer alle elektronisch verarbeiteten Arbeitszeitnachweise, Entgeltunterlagen, Lohnkonten sowie den Arbeitnehmer betreffende E-Mails zu übermitteln, sofern und soweit keine Rechte Dritter betroffen sind.
  • Unter Ansehung dieser extensiven Auslegung des Begriffs der personenbezogenen Daten erscheint es gerechtfertigt, auch Kontobewegungen auf einem Bankkonto als vom Auskunftsanspruch erfasst anzusehen.
  • Soweit die Bank einwendet, dass der Kunde diese Daten bereits durch die Kontoauszüge erlangt hätte, die er über das Online-Banking abrufen konnte, führt dieser Einwand nicht zum Erlöschen des Datenauskunftsanspruchs i.S.v. § 362 Abs. 1 BGB. Denn das Zurverfügungstellen über das Online-Portal erfolgte nicht in Ansehung eines datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs, sondern zur Erfüllung der Verpflichtung der Bank aus dem Zahlungsdienstleistungsvertrag, laufend Auszüge und periodische Rechnungsabschlüsse zu erteilen.
  • Zwar besteht Sinn und Zweck des Datenauskunftsanspruchs gem. dem Erwägungsgrund 63 zur DS-GVO zunächst darin, die Rechtmäßigkeitskontrolle im Hinblick auf die Verarbeitung der personenbezogenen Daten zu ermöglichen. Gleichwohl begründet die Verfolgung eines darüber hinausgehenden bzw. anders gelagerten Zwecks (z.B. die Vorbereitung eines Gerichtsverfahrens) noch nicht den Einwand des Rechtsmissbrauchs. Nichts anderes kann daher gelten, wenn der Betroffene die Datenauskunft benötigen, um seine Position gegenüber Dritten zu stärken.
  • Der Streitwert des Datenauskunftsanspruchs ist mit pauschal 5.000 € zu bewerten.

 

Ein Beitrag von Nele Kesner.

Stand: 01.09.2020

Zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Verwaltungsgerichtsprozess

Anmerkung zum Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts 6 B 15.20 vom 07.04.2020

Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts verdeutlicht eine grundsätzliche Schwachstelle der Verwaltungsgerichtsordnung. Anders als im Zivilprozess, wo nach Eintritt eines erledigenden Ereignisses eine (rechtsmittelfähige) Kostenentscheidung gem. § 91a ZPO ergeht, die zu begründen ist, sieht § 161 Abs. 2 VwGO keine Begründungsnotwendigkeit vor, sondern nur eine billige Kostenentscheidung.

Es kommt nicht nur im Einzelfall vor, dass sich entweder in erster oder zweiter Instanz Verwaltungshandeln als unrechtmäßig erweist. Die Verwaltung erfährt sodann jedoch die „Gnade“ seitens des Verwaltungsgerichts, dass dieses seine Rechtsauffassung darlegt und der Beklagten anheimstellt, die erforderlichen prozessualen Veranlassungen nachzuholen. Kommt die Verwaltung dem nach, entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage, um welche Klageart auch immer es sich handeln mag. Der Beklagtenseite wird im Verwaltungsgerichtsprozess auf diesem Weg eine Niederlage erspart bzw. ermöglicht, sich gesichtswahrend aus dem Verfahren zurückzuziehen, indem sie schlussendlich diejenige Handlung vornimmt, zu der sie von Anfang an verpflichtet war.

Den klagenden Bürger bringt dies in eine missliche Situation. Gibt er daraufhin eine Erledigungserklärung ab, hat das Verwaltungsgericht nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden, wobei diese Kostenentscheidung unanfechtbar ist und einer Begründung nicht bedarf. Es kommt im Einzelfall auch vor, dass der klagende Bürger zwar Recht hatte und dies durch die späteren Hinweise des Verwaltungsgerichts und die faktische Erfüllungshandlung der Verwaltung nach Rechtshängigkeit auch belegt ist. Gleichwohl überbürdet ihm das Gericht – aus Gründen, die er nie erfahren wird – die Kosten des Rechtsstreits auf.

Zuweilen besteht jedoch nicht nur ein Bedürfnis, den vorliegenden Einzelfall vor Gericht zu tragen, sondern auch, eine Präzedenzentscheidung zu erstreiten. Dafür ist die Verwaltungsgerichtsordnung jedoch denkbar ungeeignet bzw. wurde bewusst so gefasst, dass dies nur unter äußerst erschwerten Bedingungen möglich ist. Gibt der Kläger nämlich die Erledigungserklärung nicht ab, sondern stellt die Klage auf Fortsetzungsfeststellungsklage um, gelingt ihm dies nur unter den Voraussetzungen, dass er als Fortsetzungsfeststellungsinteresse weiterhin Schadensersatzansprüche verfolgen könnte, eine Wiederholungsgefahr droht, er ein Rehabilitationsinteresse hat oder ein tiefgreifender und unerträglich schwerer Grundrechtseingriff vorlag. Alle vier Kriterien werden von der Rechtsprechung jedoch äußerst eng ausgelegt, sodass sie höchst selten erreicht werden können. Weder der Gesetzgeber noch die Verwaltungsgerichte schätzen Fortsetzungsfeststellungsklagen. Der Gesetzgeber wollte ganz gezielt verhindern, dass Präzedenzentscheidungen gegen die Verwaltung ergehen, welche diese in zukünftigen Fällen binden könnten. Die Verwaltungsgerichte schätzen es angesichts ihrer ständigen Überlastung, wenn sie statt eines Fortsetzungsfeststellungsurteils lediglich einen unbegründeten Kostenbeschluss absetzen brauchen.

Man könnte auch sagen: Unter der bestehenden VwGO kommt die Verwaltung „billig davon“. Sie lässt sich einfach verklagen und ca. zwei Jahre später, wenn die überlasteten Verwaltungsgerichte erstmals dazu kommen, die Sache mündlich zu terminieren, erklären sie in der Hauptverhandlung aufgrund der richterlichen Hinweise ein Anerkenntnis, wobei gegen sie anders als gem. § 307 ZPO im Zivilprozess kein Anerkenntnisurteil ergehen kann. Die Verwaltung kann so gesehen „nie verlieren“, wenn sie dies nicht möchte. Sie kann sich stets über eine Anerkennung der Klageansprüche aus dem Verfahren davonschleichen, ohne das ein veröffentlichungsfähiges Urteil ergeht, solange der Bürger nicht ein überzeugendes Interesse (Fortsetzungsfeststellungsinteresse) darlegen kann, den Rechtsstreit über diesen Zeitpunkt hinaus noch fortzuführen.

 

Zuweilen besteht jedoch das Bedürfnis, genau ein solches Urteil – gegen alle Widerstände; vor allem des Verwaltungsgerichts – dennoch zu bekommen, um zumindest aufzeigen zu können, wer bis zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses im Recht war und um sich für zukünftige Fälle davor zu schützen, dass die Exekutive ihr streitgegenständliches Verhalten wiederholt. Der Bürger erreicht dies nur, wenn er auf Fortsetzungsfeststellungsklage umstellt, denn nur so bringt er das Verwaltungsgericht zumindest in die Rolle ähnlich eines Notars, der in dem Fortsetzungsfeststellungurteil den Verlauf der vorgerichtlichen und gerichtlichen Auseinandersetzung protokolliert, auch wenn es dann im Tenor auf Klageabweisung entscheidet und dem Kläger die Kosten überbürdet. Er kann auf diesem Weg zumindest eine veröffentlichungsfähige Entscheidung herbeiführen, aus der hervorgeht, dass er zumindest bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung Recht hatte und sich dies auch zukünftig wieder so verhalten wird.

Dass ihm gleichwohl die Kosten auferlegt werden, ist zwar ärgerlich. Hierfür müsste die Verwaltungsgerichtsordnung jedoch an einer empfindlichen Stelle geändert werden, was die Verwaltung auf dem Weg ihrer Einflussnahme auf den Gesetzgeber zu verhindern wissen wird. Als Trostpflaster beleibt jedoch, dass die Kosten vor dem Verwaltungsgericht gemeinhin deutlich geringer ausfallen, als in der Zivilgerichtsbarkeit, da die allermeisten Rechtsstreite nach dem Auffangstreitwert von 5.000 Euro gem. § 52 Abs. 2 GKG bemessen werden, woran sich der Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit orientiert. Kosten für die Verwaltung treten regelmäßig kaum auf, da sich diese durch verbeamtete oder angestellte Volljuristen in den Verfahren selber vertritt und allenfalls die Reisekosten als Auslagen zur Kostenerstattung angemeldet werden können. Außerdem bewegen sich die erstinstanzlichen Gerichtskosten bei einem Streitwert vom 5.000 Euro gerade mal bei 438 Euro für drei GKG-Gebühren gem. KV 1210, sodass klagende Bürger, die an einem gerichtlichen Urteil gleichwohl interessiert sind, es eher verkraften werden, diese vergleichsweise geringen Kosten eines verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreits abzuschreiben, als auf eine Sachentscheidung zu verzichten.

 

Im vorliegenden Fall war der Versuch unternommen worden, die vier vorbezeichneten Kriterien der Fortsetzungsfeststellungsklage (Schadensersatzinteresse, Wiederholungsgefahr, tiefgreifender Grundrechtseingriff oder Rehabilitationsinteresse) um einen fünften Aspekt zu erweitern, indem der Rechtsgedanke aus dem Entschädigungsrecht bei überlangen Gerichtsverfahren aus § 198 Abs. 4 S. 1 GVG herangezogen wurde, der eine „Wiedergutmachung auf andere Weise“ ermöglicht. Weder das Oberverwaltungsgericht Münster, noch das Bundesverwaltungsgericht sind diesen Weg jedoch mitgegangen, indem sie sich auf das formale Argument zurückgezogen haben, dass es in der VwGO keine Regelungslücke gebe, welche eine analoge Anwendung von § 198 GVG gestatte.

Dies ist im Ergebnis zwar vertretbar. Das Bundesverwaltungsgericht vergibt mit dieser Rechtsprechung jedoch die Chance, den Kanon der bestehenden vier ausschließlichen Fallgruppen für das Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu erweitern bzw. an heutige Gegebenheiten anzupassen. Rechtsstreite, nicht nur, aber auch in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, dauern immer länger. Wenn es der Verwaltung gestattet wird, durch die Verweigerung rechtmäßigen Verhaltens den Bürger nicht selten Jahre lang von seinen Rechten zu entfremden, ihr dann jedoch gleichwohl das Schlupfloch offengehakten wird, es sich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung noch anders überlegen zu dürfen und das Klageinteresse damit zu vernichten, bleibt ein schaler Geschmack zurück.

Materielle Gerechtigkeit erstreckt sich nicht nur auf den Einzelfall; sie muss das übergeordnete Ziel jeden Gerichtsverfahrens und Urteilsspruchs bleiben. Vor dem Hintergrund des vorliegenden Beschlusses sollte rechtspolitisch darüber nachgedacht werden, dass Fortsetzungsfeststellungsinteresse ganz allgemein zu erweitern und auch auf solche Fallgruppen zuzulassen, in denen der Kläger schlicht und ergreifend lediglich ein Interesse an der Entscheidung aus Präzedenzgründen vorträgt.

Manche mögen einwenden, dass die Verwaltungsgerichte hierdurch weiter in eine schon jetzt nicht mehr zu bewältigende Arbeitsbelastung hineingetrieben würden. Andere mögen diese Idee ablehnen, weil sich der VwGO-Prozess damit zu einer Objektivierung des Rechtsschutzes hin verschieben würde, was die Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative in eine Schieflage bringen würde, wenn gegen die Verwaltung aus einer Art „Allgemeininteresse“ heraus objektive bzw. objektivierte Urteile ergingen, welche eine gewisse Präzedenzwirkung für zukünftige Fälle haben können.

Präzedenzentscheidungen strukturieren die Rechtsordnung in der heutigen Zeit nahezu genauso, wie Parlamentsgesetze. Sie werden jedenfalls in sehr ähnlicher Weile in Bezug genommen und zitiert. Die Verwaltung will dies jedoch augenscheinlich jedoch nicht und die Verwaltungsgerichte haben, wenn auch aus anderen Gründen, hieran ebenfalls kein übermäßiges Interesse. Es sollte somit darüber nachgedacht werden, die Fortsetzungsfeststellungklage mit allen anerkennungsfähigen Interessen zur Fortsetzung eines Rechtsstreits in der VwGO gesondert zu kodifizieren und verstärkt die Möglichkeit zuzulassen, Feststellungsentscheidungen auch für die Vergangenheit auszusprechen.

Versicherungsschutz bei Betriebsschließungen im Fall Corona

Durch die derzeitige Schließung vieler Einzelhandelsbetriebe aufgrund der „Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2“ vom 22.03.2020 blicken viele Unternehmen auf einen Berg von ungedeckten Kosten, die von Miete, über zu zahlende Gehälter bis hin zum Ausbleiben von Gewinn reichen. In diesem Zusammenhang sind zwei Versicherungstypen zu nennen, die einen Schutz bieten könnten.

Betriebsunterbrechungsversicherung

Auf der einen Seite steht dabei die Betriebsunterbrechungsversicherung oder auch Ertragsausfallversicherung. Diese bietet zwar für den Fall einer Betriebsunterbrechung, die auf einem versicherten Ereignis beruht und zum Ertragsausfall des Unternehmens geführt hat, einen Versicherungsschutz, doch wird in den meisten Fällen auf einen Sachschaden Bezug genommen. Dieser wird im Falle einer Infektionsschutzmaßnahme zumeist fehlen. Zwar kommt dies auf den Einzelfall des Vertrags an, da es auch einzelne weiter gefasste Versicherungsschutzbereiche gibt, doch muss dazu zumeist das Risiko der Seuchen- bzw. Infektionskrankheit ausdrücklich benannt sein.

Betriebsschließungsversicherung

Auf der anderen Seite bietet die im Gastronomie-Bereich häufig abgeschlossene Betriebsschließungsversicherung eine Möglichkeit. Gegenstand dieser Versicherung ist, dass der versicherte Betrieb durch behördliche Anordnung aufgrund einer nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheit, Einbußen in Form von Mehrkosten für z.B. Desinfektion der Betriebsräume oder gar eine Betriebsschließung erfährt. Vorliegend handelt es sich, durch die vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW erlassene Verordnung vom 22.03.2020, unzweifelhaft um eine behördliche Anordnung. Zudem ist das SARS-CoV-2 Virus zwar nicht namentlich in den §§ 6,7 IfSG als meldepflichtig aufgeführt, wurde aber durch die „Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflichtigkeit“ vom 30.01.2020 mit aufgenommen. Somit sind damit die Voraussetzungen grundsätzlich erfüllt. Dennoch stellen sich nun einige Versicherungen auf den Standpunkt, dass das Coronavirus zur Zeit des Vertragsschlusses nicht Geschäftsgrundlage gewesen ist. Auch wenn dazu natürlich eine genaue Betrachtung des einzelnen Vertrags notwendig ist, wird diese Ansicht in den wenigsten Fällen überzeugend sein. Dabei muss in Bezug auf die einzelnen Verträge unterschieden werden zwischen solchen, die innerhalb der Police spezifisch Bezug auf die §§ 6,7 IfSG nehmen und solche, die nur allgemein Bezug auf diese nehmen.

Spezifischer Verweis auf das IfSG

Verweist die Police spezifisch auf §§ 6,7 IfSG so ist davon auszugehen, dass die Fortentwicklung sprachlich mit einbezogen ist. Auch wenn dies zwar im Einzelfall zu entscheiden ist, ist dort wo direkter Bezug auf Gesetzesmaterie spezifisch genommen wird, davon auszugehen, dass die Dynamik und Fortentwicklung dessen mit einbezogen ist.

Unspezifischer Verweis durch Aufzählung der Krankheiten

Im Falle einer unspezifischen Bezugnahme auf die Materie des §§ 6,7 IfSG, z.B. durch die direkte Übernahme des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorliegenden Katalogs ohne unmittelbare Verweisung auf das Gesetz, kann sich der Versicherer zwar auf den Standpunkt stellen, dass das Coronavirus nicht Vertragsbestandteil gewesen ist, wenn die Versicherung vor Ausbruch des Virus abgeschlossen worden ist. Doch bringt in diesem Fall ein Blick auf den Katalog Aufschluss. So vermittelt dieser den Eindruck vollständig zu sein. Besonders im Hinblick auf den durchschnittlichen Verbraucher, der nur ein laienhaftes Verständnis von möglichen Krankheitsbildern mitbringen wird, ist von diesem nicht zu verlangen, diesen als abschließend zu betrachten. Jede neu ausbrechende Krankheit, die es de facto zum Vertragsschluss noch nicht gegeben hat, als nicht einbezogen zu betrachten, läuft dem zuwider, was der Versicherte erwarten kann, wenn er sich gegen die Beeinträchtigung seines Betriebs aufgrund meldepflichtiger Krankheiten versichert. Erneut ist zwar eine spezifische Betrachtung des Einzelvertrags notwendig, doch erscheint die Begründung, dass Corona an sich nicht zur Geschäftsgrundlage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gehört hat, als eher nicht zutreffend.

Öffentliche rechtliche Ansprüche und Leistungen

Zum anderen kann im bestimmten Fall der Staat bereits zur Entschädigung verpflichtet sein, sodass diese öffentlich-rechtlichen Entschädigungsansprüche vorrangig in Anspruch genommen werden müssen. Zwar ist in Anbetracht der Situation, die so eben noch nicht vorgelegen hat, unklar, ob auch staatliche Unterstützungsleistungen vorrangig in Anspruch zu nehmen sind, doch sollte zum jetzigen Zeitpunkt jede Möglichkeit ausgeschöpft werden. In Betracht kommen Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes wie § 56 IfSG oder eventuell der Anspruch aus enteignendem Eingriff. Bezüglich der staatlichen Fördermaßnahmen ist vor allem der vor kurzem durch das Bundeswirtschaftsministerium vorgestellte „Schutzschild für Beschäftigte und Unternehmen“ zu nennen. Durch diesen wird vor allem die Inanspruchnahme des Kurzarbeitergeldes erleichtert. So kann dies schon beantragt werden, wenn 10 % der Beschäftigten vom Ausfall betroffen sind. Zudem erstattet die Bundesagentur für Arbeit die Sozialversicherungsbeiträge. Ferner kann beantragt werden die Frist für fällige Steuern, die dieses Jahr nicht gezahlt werden können, zu verlängern. Beantragt werden muss dies beim zuständigen Finanzamt. Der Antrag dazu wird auf der Internetseite der IHK München zur Verfügung gestellt.

Pflichten des Versicherungsnehmers im Schadensfall

Bezüglich der Geltendmachung gegenüber der Versicherung, die am besten gleichzeitig zur Beantragung/Geltendmachung gegenüber dem Staat geschieht, ist vor allem der individuelle Vertrag zu beachten und was dieser vorschreibt. Alle Policen werden aber gemeinsam haben, dass der Schaden unverzüglich gemeldet werden muss. Zu dieser sollte eine schriftliche Bestätigung der Behörde bezüglich der Maßnahmen beigefügt werden. Im Fall Corona wird die Rechtsverordnung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW, durch die Aktualität der Materie, genügen. In der Schadensmeldung selbst sollte der Schaden so genau wie möglich aufgelistet werden. So sollten die Kosten der Gehälter, der Miet- oder Pachtkosten usw. und eine Berechnung des ausbleibenden durchschnittlichen Gewinns beigefügt werden. Dazu sollte am besten der zuständige Sachbearbeiter hinzugezogen werden oder die Online-Schadensmeldungen der Versicherungen in Anspruch genommen werden.

Zusammenfassung

Insgesamt ist der Versicherungsvertrag in jeder Hinsicht individuell zu betrachten, also ob die Versicherung Schutz im Fall Corona gewährt, was im Schadensfall genau zu tun ist und vor allem welche Kosten gedeckt sind. In jedem Fall ist aber rasches Handeln zu empfehlen. Zudem sollte sich zeitgleich mit der Behörde in Kontakt gesetzt werden, ob Anspruch auf staatliche Hilfe besteht, oder sogar ein Anspruch gegen den Staat. Sollten bezüglich aller genannten Vorgänge Probleme oder Ungereimtheiten bestehen, so empfiehlt sich die Rücksprache mit einem Anwalt.

Ein Beitrag von Denis Eistert.

 

Staatlich angeordnete Quarantäne bei Corona-Infektion

Darf der Staat seine Bürger bei Corona-Infektion in Quarantäne nehmen?

Die staatlichen Befugnisse ergeben sich in diesem Fall aus dem Infektionsschutzgesetz – kurz IfSG. Die Rechtsgrundlage für eine behördlich angeordnete Quarantäne bildet § 30 Abs. 1 IfSG. Eine Quarantäne kann sogar auch zwangsweise durchgesetzt werden. Die zwangsweise Durchsetzung wird auf § 30 Abs. 2 IfSG gestützt.

Das Infektionsschutzgesetz

Bei der Anordnung von Quarantäne handelt es sich um eine „Maßnahme[…] gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten“ im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG und somit um einen Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung. Von dieser Gesetzgebungskompetenz hat der Bund für das am 1. Januar 2001 inkraftgetretene Infektionsschutzgesetz Gebrauch gemacht. Es handelt sich dabei also um ein Bundesgesetz.

Zweck des Infektionsschutzgesetzes ist es gem. § 1 Abs. 1 IfSG, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern.

Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht

Außer Frage steht, dass die Unterbringung in Quarantäne – vor allem, wenn diese zwangsweise erfolgt – für die Betroffenen eine Entziehung der grundrechtlich und durch die EMRK garantierten Freiheit bedeutet. Es handelt sich also um den Eingriff in ein hochrangiges Rechtsgut. Bei einer Unterbringung in Quarantäne wird der Alltag der Betroffenen – nicht nur im Job – völlig auf den Kopf gestellt. Für eine Freiheitsentziehung, um die Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern – was die Quarantäne zwangsläufig darstellt – ist nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 e) EMRK auch keine richterliche Entscheidung erforderlich. Bei einer Abwägung der Grundrechte steht die Freiheit gem. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG der infizierten oder vermeintlich infizierten Person dem Recht auf körperliche Unversehrtheit Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG und je nach Erkrankung sogar dem Recht auf Leben gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG derer gegenüber, die ansonsten der Gefahr einer Ansteckung ausgesetzt sind. Hierbei überwiegen die Rechte Letzterer, wobei auch die Volksgesundheit als Gut von Verfassungsrang zu berücksichtigen ist.

Schadensersatz für Verdienstausfall durch Quarantäne

Bei einer Unterbringung wird der berufliche Alltag maximal auf den Kopf gestellt. Dabei stellt sich die nicht selten unerhebliche Frage, ob man den entstandenen Schaden ersetzt bekommt. Ein berufliches Tätigkeitsverbot für Infizierte und mögliche Überträger stützt sich auf § 31 S. 1 IfSG. Wer nach einem demnach ausgesprochenen Tätigkeitsverbot einen Verdienstausfall erleidet, erhält einen nach § 56 IfSG bemessenen Ersatz des dadurch entstandenen Schadens.

Der Arbeitnehmer hat gegen seinen Arbeitgeber für eine Dauer von sechs Wochen gem. § 56 Abs. 5 S. 1 IfSG einen Anspruch auf Lohnfortzahlung. Der Arbeitgeber kann diesen Betrag binnen drei Monaten gem. § 56 Abs. 11 S. 1 IfSG zur Erstattung bei der zuständigen Behörde anmelden (in NRW der Landschaftsverband).

 

Ein Beitrag von Nele Kesner.

Tagelange Migräneanfälle, aber trotzdem nicht berufsunfähig?

Arbeitnehmer aufgepasst:

Mehrere mehrstündige Migräneanfälle pro Woche führen laut dem Oberlandesgericht Düsseldorf (am 23.03.2018, Az.: I-4 U 110/16) nicht zur Berufsunfähigkeit.

Dies schließt das Gericht aus der Formulierung der Versicherungsbedingungen. Diese sind bei Berufsunfähigkeitsversicherungen typischerweise so gestaltet, dass sie den versicherten Fall möglichst eng eingrenzen. Laut den in diesem Fall zu betrachtenden Versicherungsbedingungen tritt eine Berufsunfähigkeit ein, wenn die versicherte Person über einen Zeitraum von sechs Monaten außerstande ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben.

Der Leidensweg der Klägerin:

Die Versicherte und Klägerin war als Dialyse-Krankenschwester tätig und litt zum Zeitpunkt der Antragsstellung auf Berufsunfähigkeitsrente an durchschnittlich zweimal wöchentlich auftretenden Migräneanfällen mit Wahrnehmung von Doppelbildern und zusätzlichem Spannungskopfschmerz. Diese Anfälle hatten eine durchschnittliche Dauer von ein bis zwei Tagen. Während der Dauer dieser Anfälle war die Klägerin außerstande, ihren Beruf, welcher Konzentration und uneingeschränktes Sehvermögen ohne das Erscheinen von Doppelbildern voraussetzt, auszuüben. In Zeitfenstern, in denen die Symptome der latent vorhandenen Migräneerkrankung nicht auftraten, war sie jedoch uneingeschränkt in der Lage, ihrem Beruf nachzugehen.

Was heißt „ununterbrochen“?

Und genau darin liegt für das Oberlandesgericht Düsseldorf der Grund dafür, den Anspruch der Klägerin gegen ihre Versicherung auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente abzulehnen. Die Bedingungen für die Berufsunfähigkeit seien demnach nur bei einer ununterbrochenen Unfähigkeit zur Berufsausübung gegeben. Da sich bei der Klägerin solche Phasen mit solchen der uneingeschränkten Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit abwechselten, sei das Kriterium der ununterbrochenen Unfähigkeit der Berufsausübung gerade nicht gegeben.

Durch Auftreten zwischenzeitlicher Phasen ohne das Vorliegen leistungsherabsetzender Symptome seien somit anspruchsbegründende Bedingungen aus dem Versicherungsvertrag nicht erfüllt und der Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente nicht entstanden.

Vertragsbedingungen nicht zu beanstanden

Die Aufnahme von Bedingungen mit dieser Formulierung in Versicherungsverträge sei nach Auffassung des Gerichts auch nicht zu beanstanden, da sie nicht ungewöhnlich und damit für den Versicherungsnehmer auch nicht überraschend sei. Unter der Berufsunfähigkeit würde auch von durchschnittlichen Versicherungsnehmern ein dauerhafter Zustand verstanden, in dessen Zeitraum der Beruf nicht ausgeübt werden kann.

Eine Abweichung von diesem Verständnis ergebe sich lediglich, wenn das Zeitfenster, in denen der Versicherungsnehmer uneingeschränkt leistungsfähig war, im Vergleich zu denen, in welchen er unfähig war, seinen Beruf auszuüben, verschwindend gering ist. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn der Versicherungsnehmer innerhalb des geforderten Zeitraums von sechs Monaten nur einmal uneingeschränkt fähig war, seinem Beruf nachzugehen.

Mit seinem Berufungsurteil vom 23.03.2018 hob das Oberlandesgericht Düsseldorf das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 27.05.2016 auf, welches der Versicherten Recht gab und ihr den Anspruch zugestand.

Hinweis für Versicherte:

Reflektieren Sie vor Antragstellung bei Ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung, ob die von Ihnen dargestellten Erkrankungen Ihr Beschwerdebild in allen Einzelheiten tatsächlich vollständig widerspiegeln und nehmen Sie zur vollständigen Darstellung Ihres Gesundheitszustandes ärztliche Hilfe und die Hilfe eines versierten Versicherungsfachanwalts in Anspruch.

Stand: 26.02.2020

Verfahrenslaufzeiten Landgericht Köln

 

Die Gerichte führen jeweils interne Eingangsstatistiken und Erledigungsstatistiken, aus denen sich der unterjährig abgearbeitete Arbeitsanfall ergibt, um darüber ihren Personalbedarf zu ermitteln und Geschäftsverteilungspläne nötigenfalls zu ändern (Aufgaben neu zuzuweisen).

Eine Informationszugangsanfrage gem. §§ 4, 5 IFG NRW beim Präsidenten des Landgerichts Köln – exemplarisch zur 3., 20., 23., 25. und 26. Zivilkammer – ergab folgende Entwicklung in den Erledigungszahlen:

3. Zivilkammer (1. und 2. Instanz):
2013: 503; hiervon erledigt durch Vergleich: 140
2014: 519; hiervon erledigt durch Vergleich: 158
2015: 522; hiewon erledigt durch Vergleich: 133
2016: 499; hiervon erledigt durch Vergleich: 83
2017: 445; hiervon erledigt durch Vergleich: 98

20. Zivilkammer (1. und 2. lnstanz):
2013: 515; hiervon erledigt durch Vergleich: 100
2014: 411; hiervon erledigt durch Vergleich: 85
2015: 707; hiervon erledigt durch Vergleich: 65
2016: 531; hiervon erledigt durch Vergleich: 91
2017: 489; hiervon erledigt durch Vergleich: 101

23. Zivilkammer (1. und 2. lnstanz):
2013: 624; hiervon erledigt durch Vergleich: 100
2014: 642; hiervon erledigt durch Vergleich: 128
2015: 548; hiervon erledigt durch Vergleich: 94
2016: 643; hiervon erledigt durch Vergleich: 127
2017: 508; hiervon erledigt durch Vergleich: 80

25. Zivilkammer (1. und 2. lnstanz):
2013: 385; hiervon erledigt durch Vergleich: 67
2014: 528; hiervon erledigt durch Vergleich: 93
2015: 403; hiervon erledigt durch Vergleich: 93
2016: 433; hiervon erledigt durch Vergleich: 87
2017: 377; hiervon erledigt durch Vergleich: 88

26. Zivilkammer (1. und 2. lnstanz):
2013: 620; hiervon erledigt durch Vergleich: 125
2014: 595; hiervon erledigt durch Vergleich: 138
2015: 651; hiervon erledigt durch Vergleich: 129
2016: 506; hiervon erledigt durch Vergleich: 113
2017: 496; hiervon erledigt durch Vergleich: 85

Der Bescheid des Landgerichtspräsidenten vom 4.7.2018, der darüber Auskunft gibt, kann hier eingesehen werden.

Die Zuständigkeiten der jeweiligen Zivilkammern werden in den Geschäftsverteilungsplänen der jeweiligen Jahre dargestellt (veröffentlicht hier).

Einerseits lässt sich hieraus ablesen, dass die Zahlen der erledigten Verfahren derzeit sinken, andererseits, dass die Erledigungsquote durch Vergleich bei ungefähr 20% liegt. Dies zeigt, dass in Zivilrechtsstreiten eine genau umgekehrte Erledigungstendenz wie in der Arbeitsgerichtsbarkeit besteht, wo nur in ca. 10% von den Arbeitsgerichten überhaupt durch Urteil entschieden wird.

Verfahrenslaufzeiten der Justiz

Wie die LTO-Online in ihrem Bericht vom 13.3.2018 zum Justizranking beschreibt, gehören die Verfahrenslaufzeiten der Länderjustiz zu einem wohlgehüteten Geheimnis.

Bereits Joachim Wagner hat sich in einem Beitrag in NJW aktuell 24/2017, S. 18 – 19 (Von Spitzenreitern und Schlusslichtern) damit befasst.

Mir selber wurden auf Anfrage zu den Jahren 2015 (Bundesamt für Justiz 22.12.17) und 2016 (JM NRW 15.2.18 mit teilweisem Informationszugang) die in den Links hinterlegten Auskünfte erteilt.

Gegen die teilweise Versagung von Informationszugang durch das Justizministerium NRW zum Jahr 2016 läuft vor dem Verwaltungsgericht Köln unter dem Aktenzeichen 13 K 1407/18 eine auf §§ 4, 5 IFG NRW gestützte Klage.

Eine Informationsanfrage vom 20.2.2018 zur Berliner-Tabelle und Sachsen-Tabelle jeweils für das Jahr 2017 hat das Bundesamt für Justiz (BfJ) bislang noch nicht beantwortet.

Länderübersicht 2001

Länderübersicht 2002

Länderübersicht 2003

Länderübersicht 2004

Sachsen Tabelle 2007

Sachsen Tabelle 2008

Sachsen Tabelle 2009

Sachsen Tabelle 2010

Sachsen Tabelle 2011

Sachsen Tabelle 2012

Sachsen Tabelle 2013

Sachsen Tabelle 2014

Sachsen Tabelle 2015

Sachsen Tabelle 2016 E (Stand 2017-06-20)

Berliner Tabelle 2005

Berliner Tabelle 2006

Berliner Tabelle 2007

Berliner Tabelle 2008

Berliner Tabelle 2009

Berliner Tabelle 2010

Berliner Tabelle 2011

Berliner Tabelle 2012

Berliner Tabelle 2013

Berliner Tabelle 2014

Berliner Tabelle 2015

Berliner Tabelle 2016 E (Stand 2017-08-14)

 

> Näheres zu den Verfahrenslaufzeiten des Landgerichts Köln.

 

Die Justiz in Nordrhein-Westfalen ist inzwischen dazu übergegangen, Statistiken aus ihrem Geschäftsbereich zu veröffentlichen (hier), darunter auch solche zu Verfahrenslaufzeiten.

Sterbefasten aus rechtlicher Sicht

Seitdem am 10.12.2015 das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) in Kraft getreten ist, herrscht in der Bevölkerung wie auch in Medizinerkreisen und unter Hospizen große Verunsicherung, welche Form der Hilfe zum Selbstmord in Deutschland nun noch erlaubt ist.

Eine 2/3-Mehrheit der Bevölkerung, über deren Willen der Gesetzgeber sich mit § 217 StGB n.F. hinweggesetzt hat, lehnt das Gesetz zwar ebenso ab, wie ganz mehrheitlich Ärzte, Hospizmitarbeiter und auch Juristen, was sich an einer erheblichen Reihe von Kritikpunkten festmacht.

Die neue Vorschrift steht aber, so tatbestandlich weitgehend sie auch gefasst sein mag, nun einmal im Gesetz, sodass die Ermittlungsbehörden und Strafgerichte bei einem sog. Anfangsverdacht gegen Sterbehelfer tätig werden müssen.

Ist Sterbefasten weiterhin erlaubt?

Das „Sterbefasten“ als solches ist für den Suizidenten strafrechtlich unproblematisch, da Suizid als solcher nicht strafbar ist.

Sterbefasten ist als Suizidmethode grundsätzlich jedoch von § 217 StGB für diejenigen erfasst, die daran mitwirken.

Beim Sterbefasten geht es nämlich gerade nicht nur darum, dass der Suizident sich von der Außenwelt zurückzieht und Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme verweigert, was über die Zeit hinweg zu seinem Tod führt (das könnte er auch alleine, ohne fremde Hilfe), sondern er erwartet bzw. erfährt hierbei Assistenzleistungen:

  • Beratung
  • Zur-Verfügung-Stellung eines „Sterbezimmers“ in einem Hospiz o. ä.
  • Nebenleistungen Zimmerservice)
  • regelmäßige Benetzung der Mundschleimhaut (um das Durstgefühl zu lindern)
  • psycho-soziale Begleitung („um den Suizidenten auf seinem Weg zu halten“)
  • Waschen; Wechseln der Bettwäsche / Kleidung; sanitäre Versorgung
  • ggf. geringfügige Flüssigkeitsgabe, um die Wirksamkeit von Schmerzmedikamenten sicherzustellen
  • Applikation von Schmerzmitteln
  • anschließende Todesfeststellung mit weiterer „Abwicklung“

Das alles sind absichtliche Assistenzleistungen und damit „Förderung“ i.S.v. § 217 Abs. 1 StGB (Gewährung einer Gelegenheit), die gezielt für die Selbsttötung, damit der Suizident sie so umsetzen kann, wie es seinem Willen entspricht, nachgefragt und angedient werden.

Vom strafrechtsdogmatischen Standpunkt ist eine andere Auslegung dieses multiplen Hilfsangebots nicht zulässig.

Wie werden Staatsanwaltschaften und Gerichte mit § 217 StGB zukünftig umgehen

Fraglich ist jedoch, ob sich die Staatsanwaltschaften und Gerichte hierüber hinwegsetzen bzw. von der strengen Anwendung des § 217 StGB auf das „Sterbefasten“ absehen werden, um zumindest noch eine minimale „Fluchttüre“ vor dem strengen Regime des § 217 StGB zu ermöglichen, d. h. um dessen Folgen für die Praxis abzumildern.

Dafür könnte sprechen, dass in der Strafrechtswissenschaft ein großflächiger Protest gegen § 217 StGB n.F. eingesetzt hat: Wenn die ganz überwiegende Mehrzahl der Strafrechtsprofessoren diese Vorschrift in ihrer tatbestandlichen Weite ablehnt, spricht vieles dafür, dass Richter und Staatsanwälte diese Auffassung in gleichem Umfang teilen.

Zwar erfordert die Strafbarkeit nach § 217 StGB zugleich, dass der Sterbehelfer „geschäftsmäßig“ handelt (d. h. sein Verhalten auf eine Wiederholung anlegt). Eine Sicherheit für Sterbehelfer vor Strafverfolgung, die ein „Sterbefasten“ begleiten, gibt es jedoch nicht – insbesondere nicht für professionelle Helfer (Hospizmitarbeiter, Ärzte, Pflegeberufe), da ihnen „Geschäftsmäßigkeit“ allzu leicht unterstellt werden kann. Klarheit wird sicherlich die Rechtsprechung ergeben, wofür in den kommenden Jahren jedoch erst gerichtliche „Präzedenzfälle“ geschaffen werden müssen, damit schlussendlich der Bundesgerichtshof sich äußern kann.

Besonderes Risiko für Ärzte

Eine strafrechtliche Verurteilung wegen Verstoß gegen § 217 StGB kann für Ärzte, über die eigentliche Strafe hinaus, gem. § 5 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BÄO – theoretisch – zum Entzug der Approbation wegen „Unwürdigkeit“ führen. Sie übernehmen mit der Hilfeleistung für einen Suizidenten damit ein weitaus höheres persönliches Risiko, als „nur bestraft“ zu werden, nämlich gefährden ihre berufliche Existenz.

Wer Sterbehilfe in Form von Unterstützung zum Sterbefasten in Anspruch nehmen möchte, sollte sich daher besser an einen Angehörige oder eine „nahe stehende Person“ wenden: Diese Personengruppen bleiben gem. § 217 Abs. 2 StGB per se straffrei. Ärzten muss hingegen dazu geraten werden, sich solcher Hilfeleistungen zu enthalten.

Stand: 10.04.2017